Praktische Anleitung zur Meditation


  1. Ausgangslage
  2. Inhalte des Bewusstseins
  3. Meditationsobjekte
  4. Praktische Anleitung
    1. 4.1. Leitidee
    2. 4.2. Was man braucht
    3. 4.3. Wie man es machen kann
    4. 4.4. Was man erkennen kann
    5. 4.5. Was man unterscheiden kann
    6. 4.6. Konzentration und Akzeptanz
  5. Befreiung
    1. 5.1. Jenseits der Objekte
    2. 5.2. Jenseits des Bösen
    3. 5.3. Jenseits der Angst
Diesseits der Atmung erscheinen die Dinge. Jenseits davon sind sie.

Sich selbst erfahren kann sich das Ich nur, wenn es das Interesse am Konkreten, das sein Dasein ausmacht, überwindet und sich auf dem Weg zur Selbsterfahrung verwirklicht. Dazu muss es über alles hinausgehen, wodurch es zur Person verkleinert wird.

Ein Ich, das nicht die Ursache seines Daseins ist, ist gemacht.

Der erste Schritt heißt nicht, auf ein Ziel zuzugehen, sondern wahrzunehmen, was geschieht.

1. Ausgangslage

Das Ich entsteht, indem das Selbst als Person ins Dasein tritt. Als Person erfährt das Selbst ein Dasein, das an konkrete Bedingungen geknüpft und durch konkrete Horizonte begrenzt ist. Deshalb ist das Ich grundsätzlich interessiert.

Interesse setzt sich aus den lateinischen Begriffen inter = zwischen und esse = sein zusammen. Das Ich ist an den Sachverhalten interessiert, zwischen die es durch sein Da-Sein eingewoben ist, also durch die Festlegung des Ortes, an dem es erscheint.

Interesse kommt dem zu, was zwischen anderem ist, sich von diesem anderen unterscheidet und durch anderes eingegrenzt wird. Durch spirituelle Meditation versucht sich das Ich selbst zu erfahren. Das eigentliche Hindernis, auf das es dabei stößt, ist sein Interesse an dem, was mit seinem Dasein als konkrete Person an einem konkreten Ort in der Raumzeit zusammenhängt. Die Themen dieses Daseins füllen sein Bewusstsein und verhindern so, dass das Ich seinen Blick auf die Wirklichkeit über sich hinaus erweitert. Das Ich kann sein Interesse an dem, was es persönlich betrifft, kaum hinter sich lassen, da das persönliche Ich mit dem Interesse an dem zusammenfällt, was es ausmacht. Das persönliche Ich ist eine Reduktion des Selbst auf das, was sich selektiv für sich interessiert.

Atommodell
Man kann die Person mit einem Atom vergleichen. Das Atom besteht aus einem Kern und einer Wolke Elektronen, die den Kern in einer Schicht umkreisen. Der Kern der Person definiert den Ort, an dem sie sich aufhält. Um den Kern herum befindet sich eine Wolke kreisender Ideen, die der Kern durch mächtige Kräfte in einen geistigen Horizont bindet, der, verglichen mit der Weite jenseits davon, ebenso eng ist, wie die Schicht der Elektronen, die den Atomkern umkreisen. Der Geist kann den Raum jenseits dieses Horizonts nicht erkunden, solange er vom Kraftfeld des Kerns an dessen persönliche Interessen gebunden ist.

Spirituell kann sich das Ich nur erfahren, wenn es versteht, dass es als persönliches Ich, also als Ego, nur eine Erscheinung ist, die einem Du oder Es begegnet, tatsächlich aber ein Selbst, das das Du und das Es ebenso umfasst wie beide ihm zugrunde liegen. Spirituelle Erkenntnis befreit aus der Enge des Egos. Aus dem Interesse an den Objekten wird ein Interesse für die Objekte.

Fisch- und Menschenfang

Milliarden Fische verlieren ihr Leben, weil sie Menschen in die Falle gehen. Milliarden Menschen verlieren ihre Freiheit, weil sie handeln wie Fische. Vier Mechanismen werden Fischen zum Verhängnis:

Mechanismen, die Fischen das Leben rauben, rauben Menschen die Freiheit, sie selbst zu sein.

2. Inhalte des Bewusstseins

Beobachtet man den Inhalt des Bewusstseins, erkennt man verschiedene Elemente, die miteinander verknüpft sind:

  1. Wahrnehmungen, die durch Sensoren des Körpers vermittelt werden

    Sensorische Wahrnehmungen informieren über Zustände der Außenwelt oder den Funktionszustand des Körpers.

  2. Gedanken

    Gedanken beurteilen Qualität, Nutzwert und Gefahrenpotenzial des Wahrgenommenen oder sie entwerfen Modelle der Wirklichkeit; z. B. in Form phantasierter Dialoge bzw. vorgestellter Handlungsabläufe. Ihr Fokus kann auf persönliche Belange ausgerichtet sein oder auf die überpersönliche Struktur der Wirklichkeit.

  3. Gefühle und Stimmungen

    Gefühle und Stimmungen bewerten die Wirklichkeit, gemäß dem Bild, das sich der Geist zum Zeitpunkt der Bewertung von ihr macht.

  4. Impulse

    Impulse drängen dazu, Handlungen auszuführen, die in die Wirklichkeit eingreifen. Impulsen gehen bewusste oder unbewusste Urteile voraus. Sie können ihrerseits beurteilt werden.

  5. Urteile

    Urteile sind Bewertungen, die die Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle und Impulse gemäß den Kategorien richtig oder falsch, gut oder schlecht bzw. gut oder böse einordnen. Urteile führen zu Meinungen über die Struktur der Wirklichkeit. Meinungen sind Konstrukte verschachtelter Urteile, die sich untereinander bedingen.

  6. Erinnerungen

    Erinnerungen sind bildhafte Darstellungen vergangener Erlebnisse. Sie entsprechen nicht 1:1 den tatsächlichen Ereignissen, sondern sind subjektiv mehr oder weniger stark überarbeitet.

Gedanken, sind vorübergehende Vorstellungen, die sich in immer neuen Varianten wiederholen und thematisch meist auf die Belange der eigenen Person verengt sind. Den Gedanken sind Gefühlsqualitäten zugeordnet, die das grundsätzliche Verhalten der Person durch Impulse, die der Gefühlsqualität entsprechen, in der Welt ausrichten.

Gefühl und Impuls

Im Modus des normalen Daseinsvollzugs wird das Bewusstsein durch eine kontinuierliche, ineinander verflochtene Abfolge von sensorischen Wahrnehmungen, Gedanken, Bewertungen, Gefühlen, Stimmungen und Impulsen ausgefüllt, die das Ich als unmittelbare Darstellung der Wirklichkeit deutet. Tatsächlich ist die Abfolge der Bewusstseinsinhalte aber ein Film, der aus flüchtigen Impressionen besteht. Er ist eine Wirklichkeitsdeutung und nicht die Wirklichkeit selbst. Als Hypothese steuert er die Person analog durch die Situationen, die sie zum jeweiligen Zeitpunkt durchquert.

Diese Steuerung funktioniert weitgehend automatisch. Die Entscheidungsprozesse, die dabei anfallen, werden nicht bewusst reflektiert, sondern anhand von Mustern vollzogen, die Ergebnis bisheriger Erfahrungen und daraus abgeleiteter Urteile sind. Nicht mehr reflektierte Urteile werden als Vorurteile bei der weiteren Realitätsdeutung als wahr vorausgesetzt. Sie erscheinen als selbstverständlich. Das heißt: Das Ich definiert sich auf Grund vermeintlich selbstverständlicher Urteile, deren Wahrheitsgehalt es nicht weiter prüft.

Zu den Vorurteilen der normalen Realitätsdeutung gehört die Hypothese: Ich befinde mich als Teil in der Welt und erfahre sie von dort aus. Der spirituelle Mensch stellt diese Annahme in Frage. Er überprüft sie. Er geht zu dem, was er bislang als sein Ich aufgefasst hat, auf Distanz und beobachtet von da aus. Er untersucht das Erkennbare, um sich in eine Position zu entbinden, von der aus er das Ich als das erkennen kann, was es tatsächlich ist: Konzept, Hypothese, Übergang und Werkzeug; nichts, was in sich endet.

In den Augen des befreiten Ich ist die Person ein Objekt der Betrachtung, dessen Eigenschaften Resultat der Umstände ist, die an der Stelle bestehen, an der die Person auftaucht.

3. Meditationsobjekte

Im normalen Modus hat der Bewusstseinsfilm eine große Suggestionskraft. Er hypnotisiert den Betrachter und bindet dessen gesamte Aufmerksamkeit auf die Phänomene und Inhalte aus denen der Film sich zusammensetzt. Durch die Bindung der Aufmerksamkeit steuert er das Verhalten nahtlos. Um das selektive Interesse von all dem abzulösen, was dem Ich durch sein Dasein an Thematik zufällt, benutzt der Meditierende sogenannte Meditationsobjekte. Dabei handelt es sich um Objekte auf die er seine Wahrnehmung bündelt um durch die Bündelung der Aufmerksamkeit auf das ausgewählte Objekt den Blick vom hypnotisierenden Film zu lösen.

Objekt und Phänomen
Die Begriffe Objekt und Phänomen werden hier als gleichbedeutend aufgefasst. Das Objekt - wörtlich das Entgegengeworfene (lateinisch iacere = werfen) - liegt dem Betrachter, also dem Subjekt, als erkennbares Phänomen vor Augen. Phänomen entspringt dem griechischen Verb phainesthai [φαινεσθαι] = sichtbar werden, erscheinen. Das sichtbar Gewordene steht dem Subjekt seinerseits als erkennbares Objekt gegenüber. Das gilt auch für innerpsychische Phänomene. Der Gedanke steht dem erkennenden Subjekt als erkennbares Objekt gegenüber. Gedanke und erkennende Instanz sind nicht dasselbe.

Das heißt zugleich: Objekte sind Erscheinungen. Sie erfüllen ihr Wesen, nämlich die Erkennbarkeit, erst in Gegenwart eines Betrachters.

Das wohl am häufigsten ausgewählte Meditationsobjekt ist die Atmung. Vordergründig hat sie den Vorteil, immer und überall dabei zu sein. Sie kann leicht bewusstgemacht werden und bietet ein überschaubares Feld der Betrachtung.

Die Atmung hat aber auch eine tiefe Bedeutung. Sie ist das Tor zwischen Leben und Tod und damit das Tor zwischen Sein und Erscheinung. Diesseits der Atmung befinden sich die Erscheinungen und damit das, was vom Sein vorübergehend verwirklicht ist. Jenseits der Atmung liegt zeitlose Möglichkeit. Da die Grenze zwischen Leben und Tod zugleich die Verbindung zwischen beiden ist, durch die das eine ins andere übergehen kann, eignet sich die Fokussierung des Atems besonders dazu, über die bloße Erscheinung hinauszublicken und nach dem Ausschau zu halten, was zeitlos ist: die Wahrheit, die einzig dazu führen kann, dass sich das Ich in ihrem Spiegel richtig erkennt.

Die Konzentration auf Meditationsobjekte ist ein Mittel, um sich der Stelle zu nähern, an der der Übergang ins Zeitlose wahrscheinlicher wird. Der Übergang ins Zeitlose kann durch mangelnde Objektkonstanz verhindert werden.

Mangelnde Objektkonstanz ist ein Begriff der Entwicklungspsychologie. Er verweist auf die Tatsache, dass Kinder Angst bekommen, wenn die Mutter (das schützende Objekt) ihr Blickfeld verlässt. Das verängstigte Kind weiß nicht, dass die Mutter nur vorübergehend verschwunden ist und bald wieder auftauchen wird.

Mangelnde Objektkonstanz kann als Erklärung dafür dienen, warum die Ablösung vom Gegenständlichen an der Schwelle zur Zeitlosigkeit in der Regel nicht gewagt wird.

Anonymität

Anonym geht auf Griechisch anonymos [ανωνυμος] = ohne Namen zurück. Kein Name heißt keiner bestimmten Person zugeordnet.

In der Tat: Als Atmung erkennt der Beobachter ein Phänomen, das allen Personen eigen ist, ungeachtet ihrer individuellen Eigenarten. Wer die Atmung im Vordergrund des Bewusstseins hält, hat sich von seinem Ego soweit gelöst, dass dessen aufs Persönliche verengte Themen nicht mehr das Bewusstsein beherrschen. Der Herrschaft des Egos zu entrinnen, ist der eigentliche Schritt zur inneren Freiheit. Der Verengung zu entkommen, ist der Schritt in die Weite.

4. Praktische Anleitung

Wer konsequent in sich hineinblickt, blickt irgendwann über sich hinaus.
4.1. Leitidee

Ich achte auf das, was jetzt in meinem Bewusstsein geschieht. Nichts davon muss ich verändern. Je mehr ich erkenne, desto mehr wird diese Erkenntnis die Art verändern, wie ich die Wirklichkeit erlebe.

4.2. Was man braucht
  1. Eine Sitzgelegenheit: je nach Vorliebe einen bequemen Sitzplatz, ein Sitzbänkchen oder ein Sitzkissen.
  2. Eine Meditationsuhr, auf der man einstellen kann, wie lange man meditieren will.

Es ist besser, täglich drei Minuten zu meditieren, als ab und zu fünfzehn. Längere Meditationszeiten sollte man erst wählen, wenn man sie nicht als Pflicht empfindet, die man abzuleisten hat, sondern als Freiraum, in den man eintaucht. Besser man erkennt, wie schwer es momentan ist, sich zu konzentrieren, als dass man sich beim Versuch, es zu tun, einem Zwang unterwirft.

4.3. Wie man es machen kann
  1. Der Begriff aufhalten ist vielsagend. Bei der Meditation gilt es, sich der Wirklichkeit zu öffnen um die Enge der Vorstellung zu verlassen. Sich aufhalten heißt offen sein.
    Suchen Sie sich einen bequemen Platz, an dem Sie sich gerne aufhalten.
  2. Setzen Sie sich bequem hin.
  3. Legen Sie die Hände so, wie es Ihnen angenehm ist.
  4. Schließen Sie die Augen.
  5. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf den Atem.
  6. Beobachten Sie, wie der Körper ein- und ausatmet.
  7. Versuchen Sie, den Fokus der Aufmerksamkeit beim Atem zu belassen.
  8. Sobald Sie wahrnehmen, dass im Bewusstsein ein Gedanke aufkommt, der Sie vom Atem ablenkt, bestimmen Sie, womit sich der Gedanke beschäftigt. Machen Sie sich klar: Das ist ein Gedanke an dies oder jenes. Gedanken sind Vorstellungen. Es ist in Ordnung, dass sie kommen und gehen. Kehren Sie, sobald das Thema des Gedankens bestimmt ist, zum Atem zurück.
  9. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Urteil aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein Urteil. Es urteilt über dies und das. Es ist in Ordnung, dass Urteile aufkommen. Sie sind jeweils eine Möglichkeit, die Wirklichkeit zu deuten. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  10. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gefühl auftaucht, verweilen Sie eine Zeit lang beim Gefühl, um zu erfahren, wie es sich anfühlt. Machen Sie sich klar: Gefühle sind Interpretationen der Wirklichkeit. Sie begleiten die Vorstellungen, die man von ihr hat und die Urteile, die man über sie fällt. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sie betrachtet, hat die Wirklichkeit einen unterschiedlichen Geschmack. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  11. Sobald Sie wahrnehmen, dass eine Sinneswahrnehmung im Bewusstsein auftaucht, machen Sie sich klar: Das ist eine Sinneswahrnehmung. Sinneswahrnehmungen kommen und gehen. Sie liefern Informationen über den Zustand der materiellen Welt. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  12. Sobald Sie merken, dass ein Handlungsimpuls aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein Impuls. Er kann ausgeführt werden oder eben nicht. Bestimmen Sie, wozu er Sie bewegen will. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
  13. Sobald eine Erinnerung aufkommt, bestimmen Sie, mit welchem Ereignis sie sich befasst. Kehren Sie dann zum Atem zurück.
4.4. Was man erkennen kann

Prinzipiell ist alles, was man erkennen kann, ein Objekt. Das Subjekt ist kein Objekt. Das Subjekt ist die Instanz, die die Objekte erkennt. Als primäres Meditationsobjekt wird meist der Atem gewählt. Weitere Objekte, die im Bewusstsein auftauchen, sind...

  1. Sinneswahrnehmungen
  2. Gedanken
  3. Urteile, Meinungen
  4. Gefühle, Affekte und Stimmungen
  5. Impulse
  6. Erinnerungen

Alle Objekte, die man erkennen kann, sind nachrangige Wirklichkeit. Die Instanz, die erkennt, ist vorrangige Wirklichkeit.

Grundmuster der Wirklichkeit
Die Welt hat drei wesentliche Eigenschaften. Diese Eigenschaften gründlich zu erkennen, befreit das Subjekt aus falschen Vorstellungen, die einen großen Teil seines Leidens verursachen.
  1. Alle Objekte, die beobachtet werden können, sind vergänglich. Sie sind nur vorübergehende Erscheinungen. Sie sind nur bedingt wirklich und haben daher nur eine zweitrangige Position in der Wirklichkeit. Dass sie erscheinen, liegt an vorübergehenden Bedingungen. Solange die Bedingungen erfüllt sind, erscheint das Objekt. Wenn die Bedingungen nicht mehr erfüllt sind, verschwindet es (Anicca).
  2. Da alles Bedingte der Vergänglichkeit unterworfen ist und daher sowieso wieder verlorengeht, kann man mit Bedingtem auf Dauer niemals zufrieden sein. Sucht man das Gute bloß im Bedingten, kann man niemals dorthin kommen, wo man mit sich und seinem Leben wirklich zufrieden ist. Je mehr Bedingtes man hat, desto realer ist die Gefahr des Verlusts (Dukkha).

  3. Nichts Objektives hat ein eigenständiges Selbst. Nichts vom dem, was als Objekt erkannt werden kann, ist dasjenige, das es erkennt. Da das Selbst den Körper erkennen kann, ist der Körper nicht das Selbst. Das Zentrum des Selbst liegt jenseits aller Objekte, die man beobachten kann (Anatta).

Die Grundmuster der Wirklichkeit zu erkennen, wird als Vipassana-Meditation bezeichnet. Die Konzentration auf ein Meditationsobjekt heißt Samatha-Meditation.

4.5. Was man unterscheiden kann

Im üblichen Modus der Wirklichkeitsdeutung setzt sich der Mensch mit seiner Person gleich. Er identifiziert sich mit dem Körper und den mentalen Prozessen, die mit dem Körper verbunden sind. Im üblichen Modus glaubt man: Ich selbst und meine Person sind deckungsgleich.

Das ist eine verkürzte Sichtweise auf die Struktur der Wirklichkeit. Tatsächlich erscheint das Selbst in der und als die Person, deren Rolle die Person im dualistischen Erfahrungsfeld der Wirklichkeit spielt. Das Selbst geht aber über die Person hinaus. Die Person erscheint als erkennbares Objekt in der Zeit. Das Selbst liegt als erkennende Instanz jenseits davon.

4.6. Konzentration und Akzeptanz

Der übliche Ansatz zur Meditation besteht darin, sich auf ein Meditationsobjekt zu konzentrieren; zum Beispiel den Atem. Der Ansatz ist gut. Er kann aber eine Kehrseite haben, die vereitelt, dass man erreicht, was man erreichen möchte.

Konzentration zielt darauf ab, die Psyche daran zu hindern, in der egozentrischen Vorstellungswelt persönlicher Motive, und damit im Horizont vorübergehender Inhalte umherzuschweifen. Ziel, zumindest der spirituellen Meditation, ist es, das bloß Vorübergehende hinter sich zu lassen, um im zeitlosen Kern des eigenen Wesens aufzugehen.

Sich auf ein Ziel oder auf ein Objekt zu konzentrieren, ist jedoch seinerseits eine Aktivität des Egos, und je mehr man es dazu anhält, die Konzentration zu halten, desto größer ist die Aufgabe, die man ihm übergibt. Wie soll man aber etwas hinter sich lassen, dem man eine wichtige Aufgabe übergeben hat?

Eine Lösung kann darin bestehen, sich in Akzeptanz statt in Konzentration zu üben. Sich auf ein Objekt zu konzentrieren heißt zugleich, sich mit diesem Objekt als einzigem Inhalt des Bewusstseins zu begnügen. Sich zu begnügen heißt zu akzeptieren, nicht mehr als das zu haben, womit man sich begnügt. Da das bestimmende Motiv des Egos darin besteht, mehr haben zu wollen, führt die Akzeptanz des Wenigen dazu, dass man ihm Bedeutung entzieht. Was uns daran hindert, im Zeitlosen aufzugehen, ist die Bedeutung, die wir uns im Zeitlichen zumessen.

Meditation geht, über lateinisch meditari = nachdenken, einüben, auf die indoeuropäische Wurzel me[d] = abmessen, abschreiten zurück. In der spirituellen Mediation wird die Bedeutung der eigenen Person neu vermessen. Die große Hürde besteht darin, zu akzeptieren, wie gering sie ist. Wer akzeptiert, ist frei. Wer glaubt, er sollte mehr sein, bleibt im Ego gefangen.

Denken heißt, mehr haben zu wollen:
  • im problematischen Fall mehr von der Welt.
  • im weniger problematischen mehr von der Wahrheit.
Mehr haben zu wollen, verhindert, zu sehen, was ist.

5. Befreiung

Absolut man selbst zu sein, ist etwas anderes, als das relative Selbst, also sich selbst als Person zu erkennen. Als Person ist man ein bestimmtes Sosein, das da, wo es ist, so ist, wie es ist. Jedes Dasein wird durch die Umstände mitbestimmt, in die es eingebunden ist.

Um die Person durch meditative Betrachtung zu erkennen, empfiehlt die bisherige Anleitung, den Atem zu fokussieren, den Inhalt auftauchender Gedanken zu bestimmen, die Qualität auftauchender Gefühle zu erleben und das Ziel entsprechender Impulse zu erkennen. All das macht Sinn, um das relative Selbst als Objekt und Konstrukt zu verstehen.

Solange das Interesse aber an den Inhalten des Bewusstseins und damit an den konkreten Eigenschaften des Ich aufrechterhalten bleibt, bleibt auch die Bindung an etwas Bestimmtes und damit Verengtes und Vorübergehendes bestehen. Wer weiter will, kann weiter gehen. Dabei helfen die Wörter bloß und nur.

Bloß und nur

In der vertieften Meditation, wird nach dem Grundsätzlichen gefragt. Es geht nicht um die konkrete Person, die als relatives Selbst durch bestimmte Inhalte festgelegt wird. Es geht um die Entbindung vom bloß Konkreten ins Absolute, also ins Sein an sich.

Bloß und nur dienen nicht der Abwertung, sondern der Zuordnung. Sie sollen verhindern, dass Phänomenen mehr Bedeutung zugeordnet wird, als dem Betrachter guttut.

Deshalb heißt es jetzt:

  1. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund, vor dem der Atem schwingt. Der Hintergrund bleibt trotz des Atems unberührt.
  2. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gedanke aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist ein nur ein Gedanke.
  3. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Urteil aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur ein Urteil.
  4. Sobald Sie wahrnehmen, dass ein Gefühl auftaucht, machen Sie sich klar: Das ist bloß ein Gefühl.
  5. Sobald Sie etwas hören, machen Sie sich klar: Das ist bloß ein Geräusch.
  6. Sobald Sie merken, dass ein Handlungsimpuls aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur ein Impuls.
  7. Sobald eine Erinnerung aufkommt, machen Sie sich klar: Das ist nur eine Erinnerung.

Nichts von alldem ist jenseits der Erscheinung. Nichts von alldem ist wahres Sein.

Fesseln

Lust und Stolz sind Erfahrungen, die uns dazu ermutigen, am egozentrischen Selbstbild festzuhalten. Klar: Wer Angenehmes erlebt, hat wenig Grund, die Rolle aufzugeben, aus der heraus er es tut. Das komplementäre Gefühl zur Lust ist der Ekel. Das komplementäre Gefühl zum Stolz ist die Scham.

Tauchen in einem meditativen Prozess Ekel- und Schamgefühle auf, kann das die Bindung ans Ego lockern. Beide Gefühle haben aber nicht die Macht, die Bindung zu lösen.

Da sowohl Abgrenzung als auch der Anspruch, mehr zu sein, als man ist, egozentrische Bestrebungen sind, dämpfen Ekel und Scham einerseits zwar die Freude am egozentrischen Dasein, andererseits halten sie aber am egozentrischen Selbstbild fest.

Auch hier gilt es, sich klarzumachen, dass Ekel und Scham bedingte Funktionen sind, die jenseits ihrer bedingten Funktion keine Bedeutung haben. Es sind Erlebnisse, die man hinter sich lassen kann.

5.1. Jenseits der Objekte

Übungen der Konzentration spielen in der spirituellen Meditation eine große Rolle. Konzentration, also die Bündelung der Aufmerksamkeit auf einen Punkt, ist aber nicht das letzte Ziel. Sie ist Werkzeug und Etappe. Die Bündelung der Konzentration auf ein bestimmtes Meditationsobjekt führt dazu, dass sich das Bewusstsein von seiner umherwandernden, und damit jeweils flüchtigen, Bündelung auf die egozentrischen Themen der individuellen Persönlichkeit löst. Das Ego ist wie eine Reuse, in der sich der Aal auf der Suche nach Befreiung von genau dem Unbehagen windet, das durch die aussichtslose Suche im Innenraum der Reuse aufrechterhalten wird.

Die Konzentration auf das Meditationsobjekt kann so angenehm sein, dass sich der Übende damit zufriedengibt.

Die endgültige Freiheit des Geistes liegt aber nicht in der Konzentration auf einen Gegenstand. Sie liegt in der Gegenstandslosigkeit. Erst wenn der Geist von der Konzentration auf das Meditationsobjekt ablässt, erfährt er sich als ungeteiltes Selbst, das sich in kein Objekt begrenzt. Dann erkennt der Geist, dass er jenseits der Objekte ist.

Vorder- und Hintergrund

Der Materialist fokussiert Objekte. Der spirituelle Mensch fragt, woher die Objekte kommen. Er findet die Leere, also das Feld, das die Objekte enthält. Um zu verstehen, was Leere bedeutet, reicht es aber nicht, das Wort zu denken. Es gilt sich als Leere zu verstehen. Sich als Leere zu verstehen, heißt über die Objekte hinauszuschauen. Objekte sind endlich. Sonst wären sie keine. Wenn es ein Subjekt gibt, ist es nicht endlich. Sonst wäre es ein Objekt.

5.2. Jenseits des Bösen
Nicht jede Beschränkung der Freiheit ist böse, aber alles Böse ist Freiheitsberaubung.

Die Befreiung des Geistes ist nicht nur ein operationelles Problem, das allein durch geeignete Meditationstechniken zu erreichen wäre. Die Freiheit bedarf auch einer ethischen Reife, die sich im Umgang mit anderen niederschlägt. Wer frei sein will, muss andere frei lassen. Eine Untersuchung der Dynamik des Bösen verdeutlicht das.

Böse Taten sind Versuche des Egos, sich auf Kosten anderer Macht zu verschaffen. Das Motiv ist klar: Das Ego will sich aus Angst und Enge befreien. Macht erscheint ihm als Mittel dazu. Die Methode ist im Abschluss aber untauglich, weil jeder Versuch, die Freiheit eines Anderen zu beschränken, zu einer Fokussierung auf dessen Person führt. Mehr noch: Das Böse ist aggressiv. Es misst der Beherrschung anderer so viel Bedeutung bei, dass es an sie herantritt (lateinisch adgredi = herantreten) und somit den Raum verengt, in dem es die eigene Freiheit verwirklichen könnte.

Alles Böse zu unterlassen, was unterlassen werden kann, ist ein unverzichtbarer Schritt auf dem Weg in die Freiheit.

5.3. Jenseits der Angst

Ziel der spirituellen Meditation ist es, eine geistige Position zu erreichen, die den Meditierenden davon überzeugt, dass er keine Angst zu haben braucht. Wer keine Angst mehr hat, braucht nicht mehr eng zu sein. Er kann sich der Wirklichkeit unbefangen öffnen. Er kann sich sowohl für das öffnen, was ist, wie es ist, als auch für das, was sein kann, wie es sein will.

Ängste, die entfallen können

  • Die Angst, dass mir etwas definitiv Schädliches zustößt
  • Die Angst, dass mir etwas unbedingt Wertvolles vorenthalten wird
  • Die Angst, dass ich etwas Unentbehrliches verliere
  • Die Angst, dass ich unwert bin
  • Die Angst, nicht dazuzugehören
  • Die Angst, dass ich nicht das bekomme, was mir zusteht