Der Kontakt

Innen und außen... ...und die zwei grundsätzlichen Formen der Kontaktstörung


Die Angst vor großen Plätzen und engen Räumen

2.1. Die Spuren der Angst im Dunkel der Vergangenheit

Durch eine aufsehenerregende Studie fanden Brashley und Kingston jüngst heraus, dass Klaus Mustermann schon einmal gelebt hat. Durch die C-14-Methode, einen Vergleich des Schädelinhaltes von Mustermann mit dem Segment 7 von Simbalesi sowie Fingerabdrücken auf einem mit Schnitzereien verzierten Rentierknochen wiesen sie nach, dass Mustermann 633064 vor Christus als Pavianjunge am Ufer des Nakurusees im südlichen Riftgraben zur Welt kam. Tierpsychologischerseits fiel außerdem auf, dass Mustermann in den Verzierungen des Rentierknochens sublimativ seine beiden Grundängste zum Ausdruck gebracht hat. Diesen glücklichen Zufällen verdanken wir es, dass wir heute die ursprüngliche Dualität der menschlichen Angst ohne Mühe verstehen.

Mustermann wurde am Nakurusee nämlich mitten in eine Horde anderer Paviane hineingeboren und war besonders am Beginn seines kurzen Lebens noch recht hilflos. So wäre es für ihn fatal gewesen, wenn er den Anschluss an seine Horde verloren hätte. Schutzlos wäre er den Löwen zum Opfer gefallen, die seine Geburt vom Schatten einer nahen Akazie aus neugierig beobachteten. Als Mustermann in die Astgabel fiel, die sich seine Mutter als Kindbett ausgesucht hatte, zog ihm sofort der bedrohliche Gestank blutgeiler Großkatzen in die Nase. Instinktiv klammerte sich Mustermann am Fell seiner Mutter fest und auch später, als sich er hinlänglich mit den Gefahren des Lebens vertraut gemacht hatte, entfernte er sich niemals mehr von seiner Mutter, als es der Horizont der mütterlichen Horde vorgab.

Innerhalb der Horde ging es rauh zu. Schon als Dreikäsehoch musste sich Mustermann mit anderen Pavianjungen prügeln und trotz mutigen Einsatzes schaffte er es nie, mehr als einen mittleren Rang zu erobern. So kam es, dass er sich oft unterordnen musste, was ihn dazu bewog, ein teilweise in der eigenen Seele verborgenes Dasein zu führen, wo er seine unerfüllte Sehnsucht nach einem freien Leben hinter dem verebbenden Schutzwall seiner Schamgefühle für spätere Zeiten aufhob.

Am meisten litt er unter Bonzo, der seinen Ärger, innerhalb der Horde bloß ewiger Zweiter zu sein, wahllos an Schwächeren ausließ. Nur dem Rentierknochen, den man Jahrhunderttausende später im kalten Grab einer Skythenprinzessin fand, vertraute Mustermann als Botschaft für seine Enkel an, was ihn zum Verbleib an der unpassenden Stelle in der Affenhorde bewog.

Wenn Mustermann nämlich darüber nachsann, jenseits der Horde eigene Wege zu gehen und Bonzo sich selbst und Pascha Khans Alphatyrannei zu überlassen, zog sich, kaum hatte er seinen tapferen Schritt beschlossen, sein Herz beim Gedanken an all das Raubzeug unter den Akazien wie ein verlassenes Kitz im Gras zusammen. Die Angst, die in ihm aufkam, trieb ihn zur Flucht in eine Enge, in der ihn die Tatzen der Löwen nicht erreichen konnten.

Vom geistigen Ausflug ins Land der Freiheit zurück und in der Enge, die ihn schützte, wieder angekommen, sah er Bonzo und wie dieser hinter Pascha Khans Rücken mit Cheeta scherzte, ausgerechnet mit der Cheeta, die Mustermann kurz vor seiner Flucht in die Freiheit im Geiste schon mitten aus der tobenden Horde herausgeraubt hatte und mit der er sich bei Mondschein ganze Affenhorden und eine Zukunftsmenschheit zeugen sah. Da packte ihn die blanke Wut und ballte sich im Bauch zu einer Faust zusammen. Doch als Bonzo sich beim Scherzen mit Cheeta zu seiner vollen Höhe streckte und er Mustermann drohend in die Augen sah, verwandelte sich die Wut im Bauch in eine Faust, die Mustermanns Affenherz auf die Größe einer Opportunität zusammenquetschte. Da griff Mustermann nach dem Stück Rentierknochen. Er beschrieb seine beiden Ängste und wie er sich mit der Einsicht zu trösten verstand, dass es die Angst auf der Welt wohl geben müsse, um das Ich aus der Oberfläche vorläufiger Wünsche in die Tiefe seiner selbst zu treiben.

2.2. Agoraphobie

"Agoraphobie" heißt auf Deutsch "Platzangst". Das Wort "Platz" entstammt ursprünglich der griechischen Wurzel "platys = platt, breit". Plätze sind verbreiterte Straßen, auf denen man sieht und gesehen wird.

Mit dem Wort "agora" bezeichnete Sokrates den Markplatz, auf dem er tagsüber hochaufgerichtet seine verschatteten Zeitgenossen empfing und ihnen mit bohrenden Fragen geistige Geburtshilfe angedeihen ließ und auf dem er, wenn ihm vorerst nichts Hochgeistiges mehr einfiel, Auberginen für die abendliche Moussaka und ein Quäntchen Ouzo erstand, weil der ihm Gelassenheit für den Moment verlieh, in dem er vom Philosophieren heimkam und die Auberginen seiner Frau Xanthippe in die Küche brachte.

"Phobie" kommt von "phobos", was vom Klang her schon wieder griechisch klingt und mit "Angst" zu übersetzen ist. Wenn Xanthippe ihrer zänkischen Unzufriedenheit freien Lauf ließ, konnte das einem Passanten durchaus einen gehörigen Schrecken einjagen, weswegen Sokrates´ Zeitgenossen den unbeugsamen Philosophen zunächst nicht vergifteten, da seine Freigeisterei lange Zeit als durch Xanthippes Existenz hinlänglich bestraft angesehen wurde.

Das Wort "Angst" wiederum wurzelt im lateinischen "angustus = eng". Wenn man es buchstabengetreu bedenkt ist die "Platzangst" also eine "Plattenge" und man fragt zu Recht, was der Begriff eigentlich aussagen will. Wer Platzangst hat, bekommt die Angst in dem Moment, in dem er sich weithin sichtbar auf einem freien Platz befindet; so wie Sokrates, der auf der Agora jedoch stehen bleibt und sich eben nicht vor den Zeitgenossen duckt, die ihm einst den Schierlingsbecher reichen werden und so wie Mustermann, der nach der Flucht aus dem Herrschaftsbereich Pascha Khans und seiner Büttel sich von der eigenen Courage tief erschüttert auf der freien Savanne wiederfindet, wo ihn jeder Löwe im Umkreis von tausend Metern sofort sieht.

Für die Löwen sind die tausend Meter bis zu Mustermann bloß ein Katzensprung, während der nächste Baum in dessen Augen um so weiter weg entschwindet, desto mehr die Angst vor den stinkenden Bestien aus dem platten Boden steigt. Mustermann würde am liebsten in die Muttererde unter seine Füße tauchen, damit er nirgends mehr ins gefährliche Dasein ragt. Da sich der Erde Schoß Mustermanns Ansinnen jedoch verschließt, ist die Platzangst zunächst dessen Impuls, sich auf der Flucht vor der gefürchteten Sichtbarkeit wenigstens platt auf den Boden zu werfen und sich wie ein Rehkitz unbeweglich hinter ein Grasbüschel zu kauern, damit er auf keinen Fall mehr auffällt.

Jahrhunderttausende nachdem sich Cheetas und Mustermanns Blick zum Abschied für immer ein letztes Mal kreuzte, Jahrhunderttausende nachdem Bonzo triumphierend zu Mustermann herübersah, während er mit gierigem Grapschen Cheetas Anmut unter seine Geilheit zwang und ebensolange nachdem Mustermann den Impuls, sich vor der Gefahr zu ducken, für den er sich vor Cheeta bitter schämte, auf dem besagten Rentierknochen der Nachwelt beschrieben hatte, suchen heutzutage viele Menschen einen Therapeuten, weil sie beim Verlassen des Hauses und dem Betreten freier Plätze wie aus heiterem Himmel von der Angst befallen werden, sie könnten vor aller Augen den Boden unter den Füßen verlieren und ohnmächtig hinstürzen.

Aus der ursprünglichen Angst, die dazu riet, sich duckend aus dem Blickfeld der Löwen in Deckung zu bringen, ist heute die Angst geworden, der archaische Impuls könne durchbrechen und den Ängstlichen wehrlos einer Menschenmenge vor die Füße werfen, die zu Recht den aufrechten Gang der Selbstachtung fordert und die den, dem das Malheur des Fallens passiert, aus der solidarischen Gemeinschaft verächtlich ausstößt. Wer Platzangst hat, droht zu fallen, weil er auf keinen Fall auffallen will und er riskiert ausgerechnet dadurch ganz besonders aufzufallen.

So fällt er in eine Spirale der Angst und fürchtet sich vor einer Gefahr, die er nicht so einfach wie Mustermann beschreiben kann, weil die Gefahr, die dem der sich aufrichtet heute droht, abstrakter ist und sich nicht unmissverständlich wie ein hungriger Löwe oder ein machtgeiler Pavian als konkreter Feind zu erkennen gibt. Dabei hat der Ängstliche schon vorher arge Zweifel, ob die Muttererde, deren schützendem Schoß er entgegenfällt, ihn überhaupt haben will und ob er, weil man ihn von Kindesbeinen an nicht richtig annahm, nicht sowieso auf freien Plätzen schon größerer Gefahr und Feindseligkeit ausgesetzt ist, als das menschliche Maß es problemlos toleriert. Wer nämlich als Kind bei seiner Mutter keine verlässliche Zuflucht fand, dem schwindet im späteren Leben, wenn er allein stehen und die Savanne nur vom eigenen Mut beschützt überqueren soll, leicht das Vertrauen in den eigenen Stand.

Die Platzangst ist die Angst, in der der Mensch nach jener Enge sucht, in der er sich verbergen kann. Sie lässt den Ausgesetzten, der schutzlos ins Dasein ragt, in die Enge flüchten. Die Gefahr, die dem Menschen von draußen droht und die ihn in den Schutz der Enge flüchten lässt, geht heute allerdings kaum noch von Löwen aus. Der Raum in dem die eigentliche Angst entsteht ist auch nicht mehr die platte Ebene einer geographischen Savanne, sondern das weite Feld der Bewährung zwischen Gemeinschaft und Freiheit, auf dem der Mensch die Synthese seiner widersprüchlichen Impulse versucht: die Synthese des Wunsches nach Zugehörigkeit und dem nach Autonomie.

Was sich in der Panik des Agoraphobikers beim Verlassen schützender Objekte symbolisch zeigt, ist somit eine der zwei grundsätzlichen Ängste, die den Menschen von je her im Umgang mit der Gemeinschaft und dem Faktum der individuellen Existenz plagen. Betrachtet man die Motive des Agoraphobikers genauer, erkennt man, dass er meist nicht einfach nur feiger als jemand anderes ist. Vielmehr neigt der Agoraphobiker dazu, die tatsächliche Quelle seiner Angst zu verkennen und sie auf ein Terrain zu verschieben, nämlich den Platz als simple Topographie, auf ein Terrain also, das heute als symbolisch aufzufassen ist und das gleichzeitig dem archaischen Ursprung des seelischen Themas entspricht. Die eigentliche Quelle der Angst ist das Unvermögen des Agoraphobikers zu echtem Kontakt und seine Unsicherheit beim Eintreten für das, wofür er steht. Der eigentliche Platz vor dem er sich fürchtet, ist der freie Stand im Blickfeld der anderen. Die Weite, die ihn ängstigt ist der Abstand, der ihn für sich und die anderen eindeutig erkennbar macht.

2.3. Klaustrophobie

Wenn von zwei polaren Ängsten die Rede ist und die erste als eine Angst beschrieben wurde, die vor dem gefährlichen Einstehen-für-sich-selbst besteht, dann lässt sich der Gegenpol leicht in der schützenden Enge vermuten, in die man einst hineingeboren wurde und in die man sich vor der Freiheit rettet, sobald es dort gefährlich. Während der Angstimpuls in der Savanne dahin treibt, zu taumeln und in die Enge zurückzustürzen, aus der man kam, ist der Charakter der Angst vor der Enge von anderer Art. Klaustrophobe Ängste sind erstickte Wut.

Als Mustermann sich dem Schutz seiner Gruppe unterordnete und des Schutzes wegen schmerzliche Beschneidung hinnahm, bäumte sich in seinem Inneren der Impuls zur Freiheit wütend auf, doch da der Impuls Mustermann dazu zwingen wollte, Bonzo heldisch anzugreifen und nur mit Bonzos Oberschenkelknochen bewaffnet sämtliche Löwen des Riftgrabens in die brodelnde Lava des Longonot zu prügeln, wog Mustermanns Verstand die Durchführbarkeit des Vorschlages kritisch ab und kam zu dem Entschluss, dass man vor den eigenen Wutimpulsen mehr Angst haben sollte, als vor der Kastration.

Daher liegt unter der klaustrophoben Angst eine erstickte Wut und Klaustrophobiker fürchten folglich, sie bekämen in engen Räumen keine Luft, sie müssten unter der Dusche ersticken oder würden im überfüllten Kaufhaus von den Massen enthemmter Schnäppchenjäger erdrückt. Außerdem sitzen sie im Hörsaal immer an der Tür, weil sie glauben, es fehle ihnen im Ernstfall die Entschlossenheit, sich durch die Mauer der Kommilitonen einen Weg zu bahnen und den zumindest vordergründig kolossalen Schutz des anonymen Auditoriums zu verlassen, in dem alle schweigend darauf hören, was der große Meister sagt.

Auch bei der klaustrophoben Angst ist der Lift, die Nasszelle, die Schlange an der Kaufhauskasse und die zusammengepferchte Masse Mensch im Hörsaal nur ein symbolischer Auslöser des ursprünglichen Wutgefühles, das beengende Ketten sprengen will und das sich dann im Klaustrum mangelnder Entschlossenheit in Angst verwandelt. Die Wut des Klaustrophoben explodiert nach innen und nichts als ein paar Schweißperlen wird durch das Schweigen hindurch nach außen gepresst.

Das eigentliche Problem des Klaustrophoben liegt aber nicht im Lift, sondern in der beängstigenden Struktur seiner sozialen Beziehungen, in deren zwiespältigen Schutz er sich distanzlos verklammert. Durch das Klammern in eine unangemessene Nähe muss er auf der Platz verzichten, in den er seinem Wunsch nach autonomer Entfaltung gemäß expandieren könnte. Weil er seine Expansivität im konkreten Ich-und-Du-Kontakt verleugnet, überfällt ihn das Gefühl zu ersticken oder steckenzublei-ben dann anderswo, nämlich dort, wo die Beengung durch Strukturen geschieht, deren Loyalität und beschützende Freundlichkeit man durch impulsives Nachdraußendrän-gen nicht zu irritieren riskiert. Wer einen Lift oder den Hörsaal zum fünften Male schweißgebadet flieht, braucht nicht zu fürchten, dass diese Räume ihm nicht mehr of-fen stehen, sobald er ein sechstes Mal doch wieder hinein will. Anders könnte das aber sein, wenn man mächtige Eltern oder einen schützenden Partner mit dem Hinweis verläßt, sie stünden der persönlichen Entfaltung des Flüchtlings im Wege. Nach einer Reihe merkwürdiger Fluchten, von denen man reumütig zurückkehrt, könnte es dann sehr wohl sein, dass sich hier die Türen für immer verschließen, weil die Beschützer für ihren Schutz eine konstante Loyalität verlangen. Ein weiterer Grund, warum der Klaustrophobe seine Angst nicht in der Situation empfindet, in der die Quelle der Angst tatsächlich entspringt - nämlich in seinen allernächsten persönlichen Beziehungen - und warum er die Empfindung des Problems in die Peripherie verschiebt, liegt darin, dass seine Wut über die Enge vom bestechenden Gefühl der Sicherheit überdeckt wird, das die verengte Beziehung tatsächlich erzeugt. Weder der Lift, noch der Stau vor der Ampel oder am Ausgang des Hörsaales bieten aber wirklich jene Sicherheit des überengen Sozialkontaktes, die die Wut über die Beengung ganz zum Schweigen bringt, sodass dort die Beengung überwiegt und das Symptom zum Ausbruch kommt.

2.4. Introversion und Verwirbelung

Seit Mustermann tot ist und seit selbst die Skythenprinzessin starb, in deren Grab Mustermanns Rentierknochen nach einer bisher unaufgeklärten Odyssee durch Jahrhunderttausende entdeckt wurde, hat sich die Welt verändert. Besonders die Bedrohung durch freilaufende Löwen und Wölfe hat nachgelassen. Nach dem, was man über die Zeit als Entschlüsselung vergangener Symbolik zu hören bekam, braucht man aber nicht zu fürchten, die Erfahrungen, die das Menschengeschlecht im Laufe des Mio- Plio- und Pleistozäns - und wie die Äonen alle heißen mögen - mit den Löwen machte, seien alle für die Katz. Nein, das sind sie nicht. Es ist bloß so, dass die Steppen, Savannen und wechselwarmen Wälder der Neuzeit nicht mehr geographisch zu durchmessen sind, sondern soziographisch. Die hauptsächliche Lebenswelt des Menschen ist heute das soziale Interaktionsfeld zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. So kommt es, dass die Löwen und Wölfe, die heutige Mustermänner bedrohen, sobald sie sich aus den maushohen Bodenwellen erheben, in die sie sich auch ducken könnten, abstrakter sind, als das Getier der freien Wildbahn, dessen Leben sich somit einmal mehr als allegorische Inszenierung komplexerer Wahrheiten erweist.

Die Komplexität des irdischen Biotops hat sich seit den Tagen der Wollnashörner und Höhlenbären nach innen gewendet. Während die Biosphäre jenseits des Menschen verarmt, nimmt die Komplexität im Binnenraum der menschlichen Kultur zu.

Parallel zur anthropozentrischen Introversion der Biosphäre hat sich auch das Agora des menschlichen Daseins nach innen verschoben. Während das Draußen Mustermanns noch jenseits seiner Horde lag, liegt das Draußen der Bewährung und des Einstehens-für-sich-selbst heute innerhalb der sozialen Interaktion. Die Bewährung Mustermanns bestand darin, dass er seinen Körper selbständig gegen eine artfremde Gefahr verteidigte, während das Ich seit Sokrates seine Autonomie vornehmlich gegenüber einer vereinnahmenden Gemeinschaft behauptet, die ihren Schutz dem zu entziehen droht, der innerhalb der Schutzgemeinschaft neue Wege geht.

Weil die Weite des Menschseins somit in besonderer Weise im Gehege der Gemeinschaft stattfindet, treten agoraphobe und klaustrophobe Ängste meistens in vielfältigen Vermischungen und Verwirbelungen auf und die eine Form legt den Grundstein der anderen. Da die primäre Beziehungsstruktur des Menschen dialogisch ist und jeder Dialogpartner die zwei grundsätzlichen Impulse ausbalancieren muss, variieren alle Begegnungen vier polare Motive: Zugehörigkeit und Annahme, Selbständigkeit und Pluralität, Vereinnahmung und Unterwerfung, Ausgrenzung und Einsamkeit.

Den grundsätzlichen Ängsten, nämlich der vor dem Drinnen und der vor dem Draußen entsprechen zwei grundsätzliche Muster der Kontaktvermeidung. Das eine hebt den Ängstlichen im Kontakt durch eine stereotype Betonung autonomer Positionen über den Partner hinaus oder es hält den Partner zumindest auf Distanz. Das andere tut das Gegenteil. Der Ängstliche macht sich klein, damit er in den Windschatten des Partners passt. Das Gemeinsame beider Muster liegt darin, dass ein vollwertiger Kontakt zwischen ebenbürtigen Partnern nicht mehr zustande kommt und - da der Kontakt das Reagenzglas der psychosozialen Prozesse ist - sich die seelische Entwicklung verlangsamt.