Meditation


  1. Begriffsbestimmung
  2. Grundsätzliche Technik
  3. Stufen der Meditation
    1. 3.1. Bündelung der Aufmerksamkeit
    2. 3.2. Erkenntnis innerseelischer Inhalte
    3. 3.3. Verwirklichung des Subjekts
  4. Störfaktoren und Probleme
    1. 4.1. Gedanken und Urteile
    2. 4.2. Wahrnehmung und Veränderlichkeit
    3. 4.3. Eingriff und Betrachtung
  5. Wirkungen
  6. Meditation und alltägliche Verrichtung
  7. Ablösung und Wirklichkeitserfahrung
Auf dem Jahrmarkt überhört man das Zirpen der Grille.

Dass Sie als etwas erscheinen, das so ist, wie es ist, ist Zufall. Sie selbst sind keine feste Form.

Viel Leid entsteht durch unangemessene Eingriffe in die Wirklichkeit. Wer weniger tut und mehr wahrnimmt, kann sich und anderen Leid ersparen.

Das mächtigste Heilmittel zur Eigentherapie seelischer Erkran­kungen ist die Meditation. Das bedeutet nicht, dass sie bei allen psychia­trischen Erkrankungen erfolgreich anzuwenden wäre. Es gibt Erkrankun­gen, gegen deren Grundsymptomatik sie wirkungslos ist und solche, bei denen sie die Symptomatik verschlimmern kann.

1. Begriffsbestimmung

Bei der Meditation wird das Bewusstsein auf das ausgerichtet, was wahrgenommen werden kann. Dabei gilt es, sich aus dem Gedankenfluss heraus in reine Achtsamkeit zu lösen.

Ein Blick auf die Herkunft des Begriffs verdeutlicht, worum es geht. Meditation geht auf die indoeuropäische Wurzel me[d] = abmessen, abschreiten zurück. Zur selben Wortfamilie gehören das Maß, die Muße und die Medizin. Ein Mediziner misst das Problem des Patienten ab. Dann ergreift er angemessene Maßnahmen.

Wahrnehmung kann Zugriff sein, oder Hingabe. Ist sie Zugriff, bleibt das Subjekt gebunden. Ist sie Hingabe, hat es sich verwirklicht.

Auch bei der Meditation geht es um Muße und Maß­nehmen. Muße und Maßnehmen stehen im Gegen­satz zur Geschäftigkeit der Einflussnahme, zum Machen, Anstreben, Bewirken- und Verhindern­wollen, von dem die Menschenseele im Alltag beherrscht wird.

Wer meditiert, lässt die Dinge geschehen ohne in den Ablauf einzugreifen. Statt Pläne zu schmieden und die Wirklichkeit gemäß seinen Plänen zu formen, hält er inne. Aus einer Position gelassener Achtsamkeit heraus nimmt er wahr, was in deren Lichtschein auftaucht. Er bewertet das Erkannte nicht und bindet es nicht in seine Absichten ein. Stattdessen erkennt er das Maß, in dem die Dinge und er selbst zueinander stehen.

Anwendungsbereiche

Meditation kann therapeutisch oder spirituell betrieben werden. In beiden Fällen ist sie eine systematische Erforschung des geistigen Innen­raums, als deren Folge das Selbstbewusstsein des Meditierenden wächst. Der Übende wird selbstbewusster, weil er von sich selbst mehr weiß.

2. Grundsätzliche Technik

Die eigentliche Technik der Meditation ist die Fokus­sierung der Achtsamkeit auf das Hier-und-Jetzt. Alle Wirklichkeit, die wahrgenommen werden kann, durch­quert den Zeitpunkt der Gegenwart. Daher gilt es, das Bewusstsein auf dieses Hier-und-Jetzt zu richten. Nur dort und in diesem Moment gibt es etwas zu erkennen.

Ausrichtungen
Ungetrübt sehen kann nur, wer dabei nicht eingreift. Die gesamte Wirklichkeit, die wahrgenommen werden kann, befindet sich im Jetzt. Jeder Eingriff dient einer Absicht. Jede Absicht zielt auf eine vorgestellte Zukunft, die durch den Eingriff erreicht werden soll. Jede Absicht sieht von dem ab, was der Zielsetzung nicht dient.

Nur wer nicht eingreift, kann seine Aufmerksamkeit vollständig auf das Jetzt ausrichten, in dem das Wirkliche auftaucht. Wer etwas anstrebt, spaltet die Aufmerksamkeit. Zum einen schaut er auf das Jetzt, zum anderen auf die virtuelle Welt der Vorstellungen, in der das Bild der angestrebten Zukunft vor Augen steht.

Unterwegs in die Wirklichkeit wird man wach ohne etwas zu bezwecken.

Normalerweise achtet man nur beiläufig auf das, was tatsäch­lich geschieht. Man geht von hier nach dort, fährt Auto, isst, putzt sich die Zähne, vollzieht die Notwendigkeiten des Alltags. Meist ist man dabei nicht bei der Sache, sondern folgt dem Kreisen der Gedanken um Pläne, Wünsche, Sorgen, Hoffnungen und dem Kummer darüber, dass die Welt nicht so ist, wie sie angeblich sein sollte. Wer im Kreisen der Gedanken bleibt, nimmt jedoch nur nebenbei an der Wirklichkeit teil; denn ein solches Denken befasst sich nicht mit der Wirklichkeit. Es befasst sich mit den Erwartungen, die man an sie richtet und endet an den Vorstellungen, die man von ihr hat.

Vorstellungen sind Bilder, die man vor sich stellt. Indem man sie vor sich stellt, versperrt man sich den Blick auf die Wirklichkeit. Vorstellungen sind Mischungen aus Erkanntem und bloß Vermutetem, durch das man die Lücken im Bild auffüllt.

Am besten richtet man die Achtsamkeit auf das Wirkliche aus, indem man alle Akti­vitäten einstellt, die davon ablenken. Wer meditiert, sitzt daher meist bewegungslos und tut scheinbar nichts. Sein Geist ist jedoch hellwach. Er versucht das, was er wahrneh­men kann, vorurteilsfrei zu erleben. Dazu achtet er ebenso auf sinnliche Wahrnehmungen wie auf seelische Ereignisse, die vor seinem inneren Auge auftauchen.

Kategorien des Wahrnehmbaren

Kategorie Inhalt
Sinnlich
Mittelbar
Alles, was man hören, sehen, riechen, schmecken oder fühlen kann. Dazu gehören auch die sensorischen Wahrnehmungen der Körperfunktionen, also Atmung, Schmerzen und Verspannungen, das Klopfen des Herzens, Kribbeln auf der Haut, die Lage der Zunge im Mund, der Druck des Gewichts auf der Unterlage.
Seelisch
Unmittelbar
Gedanken, Erinnerungen und Urteile, seelische Gefühle, Zusammenhänge zwischen Gedanken und Gefühlen, Handlungsimpulse, virtuelle Bilder, willentliche Manöver innerhalb des geistigen Betrachtungsraums, Grad von Wachheit und Konzentration.

3. Stufen der Meditation

Bei der Meditation können drei Stufen unterschieden werden.

  1. Bündelung der Aufmerksamkeit
    Die erste Stufe ist eine Übung zur selbstbestimmten Auswahl von Bewusstseinsinhalten.
  2. Erkenntnis innerseelischer Strukturen
    Die zweite Stufe besteht aus einer Untersuchung von Bewusstseinsinhalten.
  3. Verwirklichung des Subjekts
    Die dritte Stufe dient der Auflösung der Identifikation mit Bewusstseinsinhalten. Dazu gehört zuletzt das egozentrische Selbstbild als Ganzes. Das verwirklichte Subjekt hat verstanden, dass es kein Objekt ist. Es sieht sich von nichts mehr getrennt und ist zugleich an nichts mehr gebunden.

Kleine Schritte, lange Wege

Meditation lernt man wie ein Kleinkind das Laufen. Man erhebt sich, macht einen ersten Schritt, fällt hin und steht wieder auf. Bis man einigermaßen sicher auf den Füßen steht, können hundert Stürze nötig sein. Bis man zu Fuß zügig vorankommt, dauert es noch länger.
3.1. Bündelung der Aufmerksamkeit

Voraussetzung vertiefter Selbstwahrnehmung ist die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Inhalte auszurichten. Das ungeschulte Bewusstsein ist häufig zerstreut. Zerstreut heißt: Es folgt weitgehend ungesteuert dem Fluss mentaler Inhalte, zu dem sich Sinnesreize und darauf reagierende Gedanken verweben, also Gedanken, die sich ihrerseits durch assoziative Verkettungen weiter verästeln und auf ihrem Weg immer neue Emotionen wachrufen oder durch eingefahrene Emotionen gebahnt werden.

Vielen gelingt es nicht, ihre Aufmerksamkeit so lange auf ausgewählte Inhalte ihres Inneren zu bündeln, bis der Inhalt und seine Rolle im seelischen Prozess verstanden ist. Ständig werden sie durch irgendetwas abgelenkt: durch jedweden Reiz aus der Außen­welt oder den nächstbesten Gedanken, der auftaucht.

Diesem Übel abzuhelfen, dient die erste Stufe der Meditation. Dabei wird geübt, mit der Aufmerksamkeit bei einem bestimmten Wahrnehmungsobjekt zu bleiben, ohne dem unaufhörlichen Fluss anderer Bewusstseinsinhalte zu folgen.

Ein gängiges Wahrnehmungsobjekt, das von Meditierenden aller Kulturkreise genutzt wird, ist die Atmung. Der Meditierende bündelt die Aufmerksamkeit auf den Atmungs­prozess. Ohne einzugreifen, beobachtet er das Schwingen seiner Atemzüge.

Auch Mantras (Sanskrit: मन्त्र) werden zur Bündelung der Aufmerksamkeit eingesetzt. Mantra enthält zwei Begriffe des Sanskrit:Whitney, W.D., Sanskrit Grammar § 1185. c, p. 449 (New York, 2003, ISBN 0-486-43136-3 (siehe Wikipedia) man- = denken und -tra = Werkzeug, Instrument. Ein Mantra ist ein Denkwerkzeug. Es kann aus einer Silbe (Om), einem Wort (z.B.: dem Namen eines Gottes) oder einem Sinnspruch bestehen (z. B.: Alles wird leer oder Ich bin.) Durch die Konzentration auf das Mantra wird das Umherschweifen des Denkens eingeschränkt. Das Mantra fungiert als mentales Wahrnehmungsobjekt.

Mantras können auch zur Unterstützung der Fokussierung auf den Atem eingesetzt werden. So empfehlen viele Praktizierende des Theravada-Buddhismus, das Einatmen gedanklich mit der Silbe bu- zu unterlegen und das Ausatmen mit der Silbe -ddho; was in der Summe dem Mantra Buddho entspricht und somit der Erinnerung daran, dass die Befreiung aus den Grenzen des Egos durch Erkenntnis möglich ist (Pali: budh = erwachen).

3.2. Erkenntnis innerseelischer Inhalte

Die zweite Stufe der Meditation entspricht der Selbstwahrnehmung der Person. Dabei handelt es sich um eine systematisierte Praxis der Introspektion, die von selbstbewussten Personen spontan angewendet und in der tiefenpsychologischen Psychotherapie gezielt ermutigt wird.

Eins nach dem anderen
Beides zugleich

Tiefenpsychologische Introspektion kann sich als rein psychiatrisches Verfahren betrachten. Dann strebt sie psychische Heilung an. Oder sie definiert sich als Etappe auf dem Weg zu spiritueller Erkenntnis. Dann ist seelische Heilung ihr Ziel. Es gibt keinen Grund, nicht beide Ziele miteinander zu verschmelzen.

Der Begriff selbstbewusst wird hier im reinen Wortsinn verwendet. Selbstbewusst ist, wer sich die Inhalte, Motive und Strukturen seiner selbst bewusstmacht. Introspektion geht auf lateinisch introspicere = hineinblicken zurück. Introspektion ist der Einblick in das innerseelische Wahrnehmungsfeld auf dem die Objekte des relativen Selbst (z.B. Gedanken, Impulse und Gefühle) wahrgenommen werden können.

Hat der Meditierende gelernt, seine Aufmerksamkeit aus der beliebigen Verführbarkeit durch Reize zu lösen und selbstbestimmt auszurichten, nutzt er sie, um den Fluss seiner mentalen Inhalte zu untersuchen. Dabei denkt er nicht vorrangig über Inhalte nach, sondern betrachtet sie, um ihren Ursprung, ihr Wesen und ihre Wirkungen zu erkennen.

In der zweiten Stufe der Meditation versucht der Übende, sein relatives Selbst und damit die Eigenschaften und Reaktionsmuster seiner Person zu verstehen.

Meditation und Therapie
Die Stufen eins und zwei der Meditation können therapeutischen Techniken zugeordnet werden:
3.3. Verwirklichung des Subjekts

Gedanken vorweg

Das Selbst ist verwirklicht, wenn es die Wirklichkeit von sich aus als Ganzes betrachtet, ohne sich mit einem ihrer Bestandteile gleichzusetzen. Das absolute Selbst ist nicht dies oder das. Es ist alles und nichts.

Wer erkannt hat, wer er ist, erkennt, dass es kaum Bedeutung hat, das zu erkennen. Wer glaubt, dass es große Bedeutung hat, hat sich noch nicht erkannt. Bedeutung ist ein Konzept diesseits wahrer Bedeutung. Dem, der Bedeutungslosigkeit fürchtet, dient es, seiner Furcht zu begegnen. Dem, der sich erkannt hat, ist es zu nichts mehr nütze.

Das Leben ist eine Erscheinungsform des Seins, das Totsein ebenfalls. Sterben ist Übergang von Formen ineinander. Das Sein bleibt davon unberührt.

Betrachten Sie die Wirklichkeit respektvoll. Hören Sie auf, an ihr herumzunörgeln. Nehmen Sie wahr, wie sie in Ihnen in Erscheinung tritt. Glauben Sie nicht, sie sollte anders sein. Tun Sie, wodurch Sie werden können. Erkennen Sie, dass Sie nichts mehr zu werden brauchen.

Die Person ist eine partikuläre Erscheinungsform ihrer selbst. Ihr Anwalt ist das Ego. Weil es immer nur Partikel sein kann, ist das Ego ungestilltes und unstillbares Verlangen. Selbst wenn es bekommt, was es begehrt, wendet es sich immer neuem zu, das es begehren könnte. Das Selbst ist keine Erscheinungsform des Ich, sondern dessen Ursprung. Im Selbst ist das Begehren erloschen.

In Stufe drei wird Meditation spirituell. Hier geht es um mehr, als um eine verbesserte Kenntnis des relativen Selbst. Hier wird die Identifikation mit der Person aufgelöst, indem man ihre Zustände systematisch als bloße Erscheinungsformen identifiziert. Sobald man deren Formen benennt, macht man die Person zu einem Objekt der Erkenntnis. Indem man sie zum Objekt der Erkenntnis macht, destilliert man sich selbst als reines Subjekt aus der Vermengung heraus.

Außenposten der Gegensätzlichkeit

Zur dritten Stufe der Meditation gehört zuletzt die Überwindung der Dualität des Erkennens. Dabei strebt der Meditierende die Erkenntnis eines Absoluten an, in dem alle Gegensätze in ursprünglicher Einheit verschmolzen sind; wo Löwe und Gazelle nebeneinander grasen.

Wahrnehmungsobjekte sind als Außenposten der Dualität im Bewusstseinsfeld erkennbar. So ist die Atmung eine Polarität zwischen ein und aus. Im Sinn­spruch Alles wird leer ist Fülle als Gegensatz zur Leere mitgedacht. Mit der Aussage Ich bin dies wird das Nicht-Ich ausgeschlossen. Der Name eines Gottes benennt ein duales Gegenüber. Die Konzentration auf Wahrnehmungs­objekte setzt die primäre Dualität zwischen Objekt und erkennendem Subjekt voraus.

Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf ein Wahrnehmungsobjekt bündelt diese daher noch nicht auf das Absolute. Sie bündelt auf einen Horizont, hinter dem das Absolute auftauchen kann. Wie bei allen Horizonten ist es unmöglich, willentlich darüber hinwegzuschreiten. Wer das Absolute erreicht, hat sein Begehren beendet und ist zur reinen Erkenntnis gelangt. Transzendenz überschreitet die Austauschbarkeit der partikulären Existenz, die dazu verurteilt ist, dieses oder jenes zu wollen.

Führt man die Introspektion auf Stufe zwei über den egozentrischen Nutzen hinweg fort, erkennt man die eigene Person als ein sich laufend veränderndes Objekt, dem drei wesentliche Eigenschaften zukommen: Es ist vorübergehend, unbefriedigend und leer.

Die Verinnerlichung der Einsichten der dritten Stufe der Meditation sind das Ziel spiritueller Religiosität. Der spirituell nicht erwachte Mensch verhält sich so, als sei seine Person eine feste Instanz, die dem Rest der Wirklichkeit gegenübersteht. Er versucht, sich von dort aus den Teil der Wirklichkeit einzuverleiben, von dem er glaubt, dass sein Besitz zur endgültigen Zufriedenheit führen wird. Er denkt: Wenn ich erst einmal da und dort bin... Wenn ich erst einmal dies und jenes erreicht habe... Um seine Ziele zu erreichen, hält er immer an etwas fest. Er versteift sich auf Ziele.

Der spirituell erwachte Mensch geht davon aus, dass alles Weltliche bloß eine Erscheinung ist und ihn daher nicht zufriedenstellen kann. Da er von der Welt nichts mehr haben will, lässt er sie los. Er spielt mit ihr wie mit einem Freund und lässt dem Leben seinen Lauf.

Alle drei Stufen der Meditation befassen sich mit Aspekten des relativen Selbst.

Zweite und dritte Stufe der Meditation

Selbsterkenntnis Selbst­verwirklichung
Das Ich erkundet die wahrnehmbaren Inhalte der Person, ihre Beziehungen zueinander sowie ihre Beziehungen zum Umfeld (Nicht-Ich). Es bleibt mit der Person identifiziert und betrachtet die Wirklichkeit aus deren Perspektive. Sobald das Ich wahrnehmbare Inhalte der Person erkennt, macht es sich klar, dass sie nicht seinem Selbst entsprechen, sondern beobachtbare Erscheinungen einer Wirklichkeit sind, deren Ereignisverkettung zwar die Person, nicht aber es selbst, unterworfen ist.
Das Ich lernt, besser zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden. Das Ich hebt die Unterscheidung zwischen Welt und Person auf.
Das Subjekt studiert seine Person als Objekt der Wirklichkeit. Das Subjekt erkennt, dass es selbst kein Objekt der Wirklichkeit sein kann.
Ich bin dieser oder jener Teil der diesseitigen Wirklichkeit. Ich hebe mich als besonderer Teil aus ihr heraus und bin dadurch in sie eingebunden. Ich bin kein besonderer Teil der Wirklichkeit. Weil ich Sehendes bin, liege ich ihrem Wirklichsein zugrunde. Ich bin als das Gewahrsein der diesseitigen Wirklichkeit aus ihr entbunden.
Blickrichtung: intramental
Schaut Inhalte an.
Blickrichtung: transmental
Schaut an Inhalten vorbei.
Bewusstwerden des relativen Selbst Verwirklichung des absoluten Selbst

Die Erkenntnis, die der Selbstverwirklichung zugrunde liegt, ist anderer Art als das Erkennen von Objekten und deren Verhältnissen zueinander. Das verwirk­lichte Subjekt erkennt sich nicht als Objekt. Es erkennt, dass es mit keinem Objekt identisch ist und somit keiner Begrenzung unterliegt, die das Wesen der Objekte bestimmt; zum Beispiel Endlichkeit, Erzeugbarkeit, Zerstörbarkeit, Bestimm- bzw. Begrenzbarkeit durch andere Objekte. Als geistiger Raum bleibt das Subjekt unbeschädigt. Nur Inhalte kommen und gehen.

4. Störfaktoren und Probleme

Die Evolution meint es gut. Damit sie Gefahren und Gelegenheiten rasch bemerkt, hat sie die Aufmerksamkeit der Person, also des relativen Selbst, auf Veränderliches ausgerichtet. Deshalb wird der Blick des Meditierenden von allem angezogen, was kommt und geht. Umso schwerer ist es daher, zu dem zu finden, was ist und bleibt: das absolute Selbst, für das Vor- und Nachteil keinerlei Bedeutung hat.

Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf das absolute Selbst wird nicht nur durch körperliche Aktivitäten und Empfindungen gestört...

Hier ist der Begriff Ausrichtung metaphorisch gemeint. Das absolute Selbst befindet sich nicht dergestalt an einem festen Ort, als dass es anderswo nicht wäre. Es verhält sich eher wie die elementare Erscheinungsform der Materie. Es ist Möglichkeit, nicht definiertes Da- und Sosein.

Potentiell störend sind vor allem Gedanken und Urteile, Erinnerungen an Vergangenes und Vorstellungen über die Zukunft, die spontan im Bewusstsein auftauchen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein weiteres Problem liegt im Wesen der Wahrnehmung selbst. Wahrnehmung spricht auf Unterschiede, Kontraste und Veränd­erungen an. Mit der Erkenntnis des Unveränderlichen tut sie sich schwer. Als dritter Störfaktor ist der blinde Eifer zu erkennen, mit dem sich die Psyche ans Werk macht, das Wohlbefinden der Person zu steigern.

Lianen
Das Subjekt liegt zugrunde. So verkündet es sein Name. Indem es der Wirklichkeit zugrunde liegt, ist es zugleich Abgrund der Erfahrung. Abgründe sind Tiefen, deren Boden man nicht erkennt. Da man sich vor Abgründen fürchtet, hält man sich wie ein Affe im Geäst an Beliebigem fest; bloß um nicht abzustürzen. Gedanken können derart Beliebiges sein. Gedankenketten über x-Beliebiges verknüpfen sich zu Lianen, an denen sich der Geist festhält um dem Abgrund zu entgehen. Das Denken, das in der Meditation kein Ende nehmen will, ist Ausdruck unbewusster Angst.
4.1. Gedanken und Urteile

Gedanken

Auftauchende Gedanken verführen dazu, das Hier-und-Jetzt zu verlassen und über die Belange der eigenen Person nachzusinnen. Jeder Gedanke verkleinert den Geist auf etwas, das er erkennen kann.

Zur Dynamik des normalen Bewusstseins gehört die Fokussierung auf persönliche Belange. Diese Fokussierung ist sehr stabil. Die Person tritt aus dem Hintergrund des Selbst in Erscheinung und zieht die Aufmerksamkeit vollständig auf sich. Das Ich ist immer dual. Es ist ein, ich bin auf dies oder das ausgerichtet. Nur dem spirituell Geschulten gelingt es in der Regel, mehr als ein paar Augenblicke durch die Person und das Gewebe ihrer Interessen hindurchzuschauen und jenseits davon die Wirklichkeit zu erkennen, ohne dass die Erkenntnis durch Parteilichkeit eingeengt oder getrübt wird.

Urteile

Da es uns als Personen stets um Vor- und Nachteil geht, neigen wir dazu, alles Wahrgenommene zu beurteilen und ihm gegenüber Stellung zu beziehen.

Die egozentrische Sichtweise verengt, weil sie Angst hat, zu verlieren und zu wissen glaubt, was gewonnen werden müsste, um besser dazustehen.

Urteile sind Aktivitäten des Egos. Aus Angst vor Verlusten aller Art versucht das Ego, seine Position zu sichern. Gemäß dem Vorteil, den es sich davon verspricht oder Nachteilen, die es fürchtet, teilt es die Welt in zwei Kategorien auf: gut und schlecht. Mit gut meint es: Was zu seinen Erwartungen passt. Mit schlecht meint es: Was nicht dazu passt, was sich also ungebetenerweise schädlich einschleicht. Durch seine Neigung, Wirkliches durch egozentrische Urteile abzuwerten, stört das Ego die Wahrnehmung beträchtlich. Zumindest ist seine Wahrnehmung selektiv. Als Folge davon strebt es an oder es wehrt ab.

Das Gute und die Sicherheit
Gut entstammt der indoeuropäischen Wurzel ghedh = passen, umklammern, zusammenfügen. Zur selben Wortfamilie gehören Gitter, Gatter und Gatte. Was als gut empfunden wird, bezieht sich auf das, wozu es passen soll.

Der Mensch befasst sich mit der Frage, wie er sein soll, damit er als gut zu bewerten ist. Gut, wenn er dabei einsieht, dass sein Urteil vom Bedürfnis nach Zugehörigkeit bestimmt wird. Man will gut sein, damit man zu dem passt, was Schutz und Vorteil verheißt.

Für den, der nicht erkennt, dass hinter dem Urteil ein egozentrisches Bedürfnis steckt, verwandelt sich das Urteil von einem Gatter, das ihn schützt, zu einem Gitter, hinter dem er den Verstand gefangen hält. Nur im Heiligen überwindet das Gute seine Relativität.

Relativität geht auf die lateinische Wurzel relativus = sich beziehend zurück. Wert und Bedeutung des Relativen wird von dem mitbestimmt, auf das es sich bezieht. Im Heiligen sind die Dinge nicht relativ, weil sie im Heiligen nicht miteinander in Beziehung stehen, sondern ins Ganze verschmelzen. Das Ganze ist kein Konstrukt aus Teilen, sondern das, was Teilung überschreitet und Geteiltes aus sich heraus entwerfen kann.

Ein wesentliches Werkzeug der Meditation besteht im Erkennen und Benennen dessen, was man denkt und wie man urteilt. Statt auftauchende Gedanken weiterzuspinnen und sich in den Vermutungen und Spekulationen des Denkens zu verlieren, kehrt man durch die Betrachtung des eigenen Denkens in die Gegenwart der Wirklichkeit zurück. Statt zu urteilen, schaut man hin, wie man sich durch Urteile ein Weltbild baut, das als Teil der Welt immer nur klein sein kann. Sobald man erkennt, dass die Welt des Egos dazu verurteilt ist, klein zu sein, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man es wagt, darüber hinauszublicken.

Warum wird hier von einem Wagnis gesprochen? Ganz einfach: Wer über den Horizont des Personseins hinausblickt, erkennt, wie wenig das ist, was sich innerhalb des Horizontes befindet. Wie sollte der, der das erkannt hat, dem Wenigen aber noch viel Bedeutung zumessen? Die Logik des Personseins leistet gegen solche Erkenntnis Widerstand, weil es zur Grundidee des Personseins gehört, der Person viel Bedeutung beizumessen.

Alles Geteilte ist Entwurf. Alles Entworfene geht vorüber.

Weite kann als Kälte erlebt werden. Viele bleiben eng, weil Enge sie zu wärmen scheint.

Hier ist die Rede vom Horizont des Personseins; nicht nur vom Horizont der Person. Das gilt es zu beachten. Es ist für ein menschliches Zusammenleben unabdingbar, über den Horizont der eigenen Person hinauszublicken. Der bloße Blick über den Horizont der eigenen Person hinaus reicht aber bloß bis in den Horizont einer anderen hinein. Das ist ein vergleichbar schmaler Gewinn. Die wirkliche Weite liegt jenseits davon. Sie liegt jenseits des Personseins überhaupt.

Gedanken
Aufgreifen und entwickeln oder wahrnehmen und loslassen

Gedanken sind Elemente der Wirklichkeit. Sie durchqueren das Jetzt. Daher geht es bei der Meditation nicht vorrangig darum, das Denken abzuschalten. Das wäre eine absichtliche Einflussnahme. Sie widerspräche der meditativen Grund­haltung der Gelassenheit und führte nicht zur Erkenntnis dessen, was geschieht, sondern zu einem Konflikt mit der Wirklichkeit.

Während der Gedanke an sich als virtuelles Objekt aber stets wirklich ist, ist das Bild, das er von der Wirklichkeit entwirft, bloß vorgestellt. Das Denken entwirft aus dem Erfahrungsschatz, der auf das Wenige zurückgreift, was die Person aus ihrem Blickwinkel bislang erfuhr. Gedanken sind Vorstellungen, Konzepte und Bilder. Je mehr Schritte es dabei geht, desto spekulativer wird sein Inhalt und desto weniger gleicht die entworfene Vorstellung der Wirklichkeit, über die das Denken seine Vermutungen anstellt.

Im Alltag neigen wir dazu, Gedanken aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Dadurch entwerfen wir Vorstel­lungen, deren Wahrheitsgehalt wir nur lückenhaft an der Wirklich­keit überprüfen. Je komplexer ein Entwurf wird, desto größer ist die Gefahr, dass er von der Wirklichkeit abweicht.

Oliver hat sich neulich unmöglich benommen... Dabei dachte ich, er sei ein ernst zu nehmender Kollege... Kein vernünftiger Chef wird Mitarbeiter mögen, die am Rosenmontag mit Pappnase ins Büro kommen und dann auch noch auf der Tröte blasen. Es wird wohl besser sein, zu Oliver auf Abstand zu gehen.

Sinn der Entwicklung gedanklicher Bilder ist der Entwurf komplexer Simulationen, anhand derer wir im Voraus berechnen, was uns nützt.

Bei der Meditation geht es nicht darum, mit Hilfe der Spekulationen über die Wirklichkeit zu entscheiden, was uns nützt oder schadet. Es geht ausschließlich darum, die Wirklichkeit zu erkennen, so wie sie ist; und zu dieser Wirklichkeit gehören die Spekulationen, die man über sie anstellt. Da sich Gedanken aber spekulativ von der Wirklichkeit entfernen, nimmt man sie in der Meditation bloß wahr und lässt sie dann los.

Aha, ich bin also der Meinung, dass sich Oliver unmöglich benommen hat und ich auf Abstand gehen sollte. Oh, ein Schamgefühl kommt auf. Ich bin erstaunt, dass ich so berechnend bin. Sei's drum, so bin ich derzeit wohl. Vielleicht kann ich auch erkennen, woher das kommt. Mal schauen...

Es gilt also nicht, das Denken abzuschalten, sondern die Kette unverstandenen Denkens nicht mehr fortzusetzen, indem man sich in deren Vorstellungswelten verliert ohne ihre Themen zu erkennen und bewusst zu untersuchen. Ich betrachte, was ich mir vorstelle. Ich untersuche Vorstellungen um zu erkennen, was ich durch sie bezwecken will. Meist wird es Zugriff oder Abwehr sein, um mich als Person zu stärken und zu schützen.

Die Funktion der Gedanken geht tiefer. Sie sind nicht nur Werkzeuge mit deren Hilfe man Spekulationen über zukünftige Entwicklungen anstellt oder den Erfolg vergangener Taten untersucht. Wäre es so, könnte man das Denken in der Meditation leicht hinter sich lassen und eine Leere erleben, in der nur noch sinnliche Wahrnehmungen auftauchten ohne dass da ein Ich wäre, das sich um Vorteile bemüht. Jeder, der sich an der Meditation versucht hat, kennt jedoch das Problem: Selbst wenn man das Denken einstellen will, tauchen Gedanken so ungebeten auf, wie Stechmücken in der sommerlichen Tundra. Im Kopf denkt es quasi automatisch und der Automatismus ist schwer zu stoppen. Dafür gibt es einen Grund.

Wäre das Denken bloß ein Werkzeug des Egos, also etwas, das es in die Hand nimmt, nachdem es bereits fest dasteht, könnte es sein Werkzeug so locker für eine halbe Stunde aus der Hand legen wie ein Maurer seine Kelle. Dass man ihm das Werkzeug aber mit Engelsgeduld aus der Hand nehmen muss, liegt daran, dass das Ego selbst ein gedankliches Konzept ist, das ohne Urteil und Gedanke gar nicht sein kann.

Relatives und Absolutes

Das Denken ist ein Werkzeug des relativen Selbst. Es dient dazu, dessen Position in einer Dualität zu verbessern, die sein Dasein stets in Frage stellt. Es sucht nach Erkenntnissen, um zum eigenen Vorteil in die Wirklichkeit einzugreifen: Wie konnte es dazu kommen, das dies und das geschah? Was hätte ich damals besser machen können? Wie kann ich in Zukunft Fehler vermeiden? Was muss ich heute tun, damit ich später nichts bereue? Welche Gefahr kommt auf mich zu?

Das absolute Selbst liegt jenseits dualer Gegen­sätze. Es liegt außerhalb des Denkens und jenseits der uns bekannten Form bewussten Seins; das sich vorübergehend öffnet, damit sich das relative Selbst darin den Kopf über Gewinn und Verlust zerbricht. Das absolute Selbst ist unbeteiligt. Zum absoluten Selbst dringt vor, wer keinem Gedanken mehr folgt und keinem Teil der Wirklichkeit mehr mehr Bedeutung gibt als einem anderen.

Vorgedrungen wird nur aus der Perspektive des relativen Selbst. Als absolutes weiß es, dass es nie etwas anderes als das Absolute war. Aus der Sicht des Absoluten, dringt das Relative nicht zu ihm vor, sondern geht in ihm auf. Partei geht auf lateinisch pars = Teil zurück. Absolut er selbst ist, wer in allem unparteiisch ist.

Im Gegensatz zum absoluten Selbst ist das Ego ein Objekt. Es ist etwas Feststellbares, etwas Festgestelltes und es stellt seine eigene Existenz fest, indem es am laufenden Band Feststellungen anstellt. Hört das Ego auf, Feststellungen über die Wirklichkeit zu treffen, gibt es seine Substanz preis, hat keinen Treffpunkt mehr, an dem es auftaucht und geht in die Wirklichkeit ein. Dieser Zustand ist die Gedankenstille, die im mystischen Erleben das sich separat entwerfende Ich mit dem Ganzen vereint.

Feststellungen

Jeder Gedanke ist eine Feststellung. Auch dieser Gedanke ist eine Feststellung. Jede Feststellung sagt: So sehe ich es! Jede Feststellung ist eine Stellung und damit ein befestigtes Lager in der Weite der Wirklichkeit, an dem der Ausgesetzte festhält, weil er darin Halt sucht.

Das Ego hat bestimmte Sichtweisen. Bestimmte Sichtweisen, also Feststellungen über die Wirklichkeit, sind die Bausteine, aus denen das Ego besteht. Nicht zu denken, heißt keine Sichtweise mehr zu haben, sondern zu sehen, ohne dabei selbst dies oder das zu sein.

Jede Feststellung, die die Person über die Wirklichkeit anstellt, ist zugleich ein Urteil. Am Ursprung des egozentrischen Selbstbilds, das in der Folge durch weitere Feststellungen gefestigt wird, steht ein primäres Urteil, das die Urteilung des egozentrischen Weltbilds vollzieht. Durch das Urteil Ich nehme wahr, was ich nicht selbst bin teilt der Urteilende das Spektrum seiner Wahrnehmungen in zwei Teile: ein als abgeteilt gedachtes Ich und den Rest der Welt.

Die Hürde, die zu nehmen ist, um das Denken loszulassen, ist deshalb viel höher als das Bedenken gegen eine Pause bei der Simulation vorteilhafter Einflussnahmen. Das Ego kämpft mit seinen Mückenschwärmen nicht gegen den Verlust eines Vorteils, den es sich erspekulieren könnte, wenn es die halbe Stunde unaufhaltsam weiterdenkt. Es kämpft gegen die Einsicht, dass die Wirklichkeit auf es verzichten kann.

Diese Kröte muss man erst 'mal schlucken und das Ego wäre kein Ego, hätte es nicht die Neigung, die Kröte immer wieder auszuspucken. Verzeihen wir es ihm! Das Ego meint es ja nur gut; zumindest mit sich selbst. Jede Existenzform auf der dualen Ebene der Wirklichkeit ist dazu verurteilt, sich mehr Bedeutung zuzuweisen, als ihr zukommt; bis es ihr gelingt, das Urteil aufzuheben. Erst, wenn sie das Urteil aufhebt, erkennt sie, dass der Verzicht auf sich selbst Gewinn für sich selbst bedeutet. Man gewinnt sich, indem man darauf verzichtet, sich haben zu wollen.

4.2. Wahrnehmung und Veränderlichkeit

Wahrnehmung wird zu einem großen Teil mittelbar durch Sinnes­organe bewerkstelligt. Ein zweiter Modus der Wahrnehmung ist unmittelbar. Mit ihm erkennt man innerseelische Ereignisse. Beiden Wahrnehmungsarten ist eines gemeinsam: Sie erkennen vor allem Veränderungen.

Tauchgänge
Die Wirklichkeit ist ein Ozean. Während an der Oberfläche je nach Windrichtung und -stärke Wellen plätschern und das Sonnenlicht mit den Korallen spielt, wird es mit zunehmender Tiefe stiller. Im Gegensatz zu einem Ozean aus Wasser, hat der Ozean der Wirklichkeit aber keinen Boden, über den, wenn auch fast unmerklich träge, die eine oder andere Strömung fließt. Der Abgrund der Wirklichkeit reicht bis ins Zeitlose hinein, das kein Wahrnehmungsorgan an Veränderungen erkennt. Das Zeitlose verwirklicht sich selbst. Es kann das Verwirklichte sehen. Es ist Erkenntnis des Verwirklichten. Das Sehen seiner selbst geht über das Sehen hinaus, das dem Sehen des Verwirklichten entspricht.

Die Wendung... ins Zeitlose hinein... kann in die Irre führen. Sie suggeriert, dass sich dort - im Inneren der Zeitlosigkeit - nur der Abgrund der Wirklichkeit befindet und dass es eine Oberfläche der Wirklichkeit gibt, die außerhalb stünde. Die Unterscheidung zwischen innen und außen wird aber durch unsere Position als persönliche Betrachter bedingt, die das Objekt dem Subjekt als ein Etwas gegenüberstellt, das ihm nicht angehört und außerhalb von ihm steht.

Schauen Sie zum Fenster hinaus. Was Sie an einem windstillen Tag als erstes wahrnehmen, ist der Vogel, der von einem Baum zum anderen fliegt.

Auf der ersten Stufe der Meditation spielt dieses Phänomen zunächst eine geringe Rolle. Die Gedanken im Kopf flattern wie Vögel daher. Es macht keine Mühe, sie wahrzunehmen. Im Gegenteil: Sie drängen in den Vordergrund.

Unterhalb der Gedanken kommt die Ebene der...

Im Vergleich zu den Gedanken, die sekunden­schnell einen erkennbaren Begriff an den nächsten reihen, ist die Bewegung auf dieser Ebene bereits träger.

Noch träger verändern sich grundsätzliche Überzeugungen über das Wesen der Wirklichkeit, die emotionalen Reaktionen und Denkinhalten zugrunde liegen.

Je tiefer man daher ins Innere blickt, desto mehr Geduld braucht man, um die in der Tiefe zunehmend beständiger werdenden Zustände wahrzunehmen.

Bei der spirituellen Vertiefung der Meditation geht es um Ebenen der Wirklichkeit, die sich innerhalb eines Menschen­lebens über­haupt nicht verändern. Zuletzt geht es dort um die Realisierung der Zeitlosigkeit.

Der Begriff Realisierung zeigt dabei an, dass das Zeitlose nicht wie ein Gegenstand, ein Feld, ein Verhältnis oder ein Prozess wahrgenommen werden kann. Das Verb realisieren hat eine doppelte Bedeutung. Es bedeutet sowohl...

Das erkennende Subjekt verwirklicht sich, in dem es gewahr wird, dass es keinem erkennbaren Objekt entspricht und sich fortan allen Objekten gegenüber seinem tatsächlichen Wesen entsprechend abgelöst verhält. Für Objekte ist die Zeit ein Raum, in dem sich ihre Eigenschaften verändern. Das absolute Subjekt hat keine Eigenschaften. Ihm ist Zeit ein ewiges Jetzt, das alles enthält. Objekte werden und vergehen. Das Subjekt ist. Objekte sind Wandel. Das Subjekt ist dessen Sein.

4.3. Eingriff und Betrachtung

Das Grundmotiv des normalen Bewusstseins ist die Verbesserung des Wohlbe­findens der Person durch Eingriff in die Wirklichkeit. Tauchen Störungen in Form unangenehmer Gefühle auf, wird das Bewusstsein tätig. Das gilt für leibnahe Wahrnehmungen und seelische Befindlichkeiten in gleicher Weise.

Normal
Ich handele, um das Wohlbefinden der Person zu steigern.

Meditativ
Ich betrachte, um die Art des Befindens der Person zu verstehen.

Leibnahe Wahrnehmungen

Seelische Befindlichkeiten

Eingriffe zwecks Verbesserung der Befindlichkeit vertiefen die Identifikation mit der eigenen Person. Durch den Eingriff verstrickt man sich ins Netzwerk der geformten Dinge, also der Bedingungen und Bedingtheiten aus der die Welt besteht und zu dem die Person gehört.

Drei Schritte aus der Verstrickung
  1. Wenn man nichts mehr wünscht als Einsicht in das, was geschieht.
  2. Wenn man nichts mehr wünscht als Einsicht in das, was geschieht.
  3. Wenn man so viel einsieht, dass man nichts mehr wünscht.

Das Grundmotiv des meditativen Bewusstseins liegt in der Betrachtung der Dinge. Im Gegensatz zum verstrick­enden Eingriff, führt die reine Betrachtung zur Des-Identifikation von allen Formen, die betrachtet werden können. Reine Betrachtung ist ablösende Erkenntnis. Ein wesentlicher Störfaktor der Meditation liegt darin, dem Drang zur Verbesserung zu folgen, statt ihn zu sehen.

Destillat und Katalysator

Die Person lebt in intimer Verwobenheit mit der Welt. Sie deutet die Welt als deren Bezogenheit auf sie selbst. Sie misst allem eine subjektive Bedeutung zu, indem sie bei allem fragt, was es mit ihr zu tun hat. Sie ist Welt. Wenn sie sieht, ist es stets ein Ich sehe.

Der übliche Lebensvollzug ist eingriffsoriertiert. Wahrnehmung und Eingriff gehen nahtlos ineinander über. Das Subjekt als Instanz der Wahrnehmung wirkt spontan auf die Objekte ein, weil es sich seinerseits als Objekt betrachtet, dessen Bestand zu bewahren ist. Die jeweilige Reaktion auf wahrgenommene Zustandsänderungen ist überwiegend automatisiert. Sie unterliegt Entscheidungskaskaden, die an die bisherige Erfahrung der Person gebunden sind. Diese Bindung ist ein Gefängnis des Geistes.

Meditation wirkt als Katalysator, der den nahtlosen Übergang von Wahr­nehmung zu persönlich motivierter Reaktion aufhebt. Sie unterbricht Reiz-Reaktions-Automatismen. Dadurch wird das Subjekt aus der Verstrickung ins Gewebe der Objekte herausdestilliert. Das Destillat ist reines Gewahrsein. Das Selbst lebt ohne Verwobenheit, unerschütterlich, unberührbar, im Dabeisein entrückt.

5. Wirkungen

Meditation ist Übung. Wer meditiert übt, die Wirklichkeit vorurteilsfrei zu erkennen. Am besten wirkt sie, wenn man sie regelmäßig praktiziert. Da sie die Aufmerksamkeit auf den Ort in der Raumzeit lenkt, an dem man sich selbst befindet, zentriert sie das Leben in die eigene Mitte.

Meditation...

Durch beharrliches Üben kommt es dazu, dass sich der Schwerpunkt des Lebens bei den Besorgungen des Alltags verschiebt. Statt aus der Angst der Person heraus nach allem zu greifen, was Vorteil verspricht, erkennt man in der Mitte des Selbst, dass einen vieles gar nichts angeht; oder dass es so wenig Bedeutung hat, dass Aufhebens darum nicht lohnt. Man tut weniger.

Weniger zu tun heißt aber nicht, sich treiben zu lassen. Weni­ger zu tun heißt, dem Treiben zuzuschauen und zu handeln, wenn es notwendig ist. Das Notwendige, das tatsächlich zu tun ist, tut man dabei effektiv. Während man es tut, ist man im Geiste bei dem, was getan wird.

6. Meditation und alltägliche Verrichtung

Meditation in der sitzenden Grundhaltung ist eine spirituelle Praxis, die als Ritual in den Alltag eingefügt werden kann. Das Ritual selbst ist aber nur Mittel zum Zweck. Es dient der Ausrichtung der Achtsamkeit auf die innere und äußere Wirklichkeit, der man im Hier-und-Jetzt begegnet. Das Sitzen ist eine der vielen möglichen Körperhaltungen des Yoga, sogenannter Asanas [Sanskrit = असन), die eingenommen werden können.

Zwei Sichtweisen auf die Wirklichkeit

Im dualistischen Bewusstsein sind Objekte Gegenstände, im monistischen sind es Mit­flüsse. Deshalb ist alles absolut dasselbe, aber nur ungefähr das Gleiche wie das, was es war. Als ich selbst bin ich Wasser, das ruht. Als Person bin ich Wasser, das fließt.

Wenn man darin geschult ist, die Achtsamkeit aus dem Kreisverkehr des Vermutens, Spekulierens, Beklagens sowie der Inszenierung fiktiver Dialoge herauszulösen und auf das auszurichten, was tatsächlich als wahr festzustellen ist, kann das Ritual des Sitzens zugunsten einer meditativen Grundhaltung aufgegeben werden, die unabhängig von der Körperhaltung ist.

Kreisverkehr im Kopfkino

Eine meditative Grundhaltung nimmt ein, wer sich im Rahmen alltäglicher Begegnungen und Ereignisse bewusst wird, wie sein Inneres auf das jeweilige Ereignis reagiert. Aus der Grundhaltung heraus betrachtet man zunächst den Lauf der Dinge... und handelt dann. Ohne sie ist man reflexartig mit der Einwirkung auf die äußere Wirklichkeit beschäftigt.

Die Reflexe stammen dabei aus erlernten Mustern, die sich das egozentrische Konzept aus den zufälligen Erfahrungen der Vergangenheit zurechtgelegt hat. Oft werden diese Muster der Gegenwart nicht gerecht. Ohne die Wahrnehmung dessen, was jeweils wirklich ist, bleibt man in überkommenen Mustern gefangen.

7. Ablösung und Wirklichkeitserfahrung

Als Person bestehe ich aus anderen Leuten. Das Selbst besteht aus nichts, weil es nichts gibt, was vor ihm war.

Die konsequente Wahrnehmung dessen, was auf der Lichtung des Bewusstseins auf­taucht, führt dazu, dass sich das Subjekt des Betrachters zunehmend aus irrtümlichen Identifikationen löst. Wer seine Gedanken, Impulse, Gefühle und Absichten erkennt, ohne sich von Ihnen zur Vorteils­nahme verführen zu lassen, stellt fest, dass all diese Inhalte flüchtige Formen sind, die zwar zu der Person gehören, die er von innen heraus erkennt und zu dem Ego, das sich als Anwalt dieser Person begreift, dass er selbst aber weder das Ego noch die Person ist, die er sieht.

Wie das Hinwollen wegführt

Sobald man im Glauben übt, so und so viel üben zu müssen, um ans Ziel des Übens zu kommen, richtet man die Aufmerksamkeit auf ein Dort-und-dann. Das Ziel ist aber Hier-und-jetzt.

Damit wird dem Subjekt des Betrachters etwas Wesentliches klar: Es selbst ist keine jener Formen, die es erkennen kann. Das Subjekt ahnt, dass es formlos ist und als formloses Prinzip der Wirklichkeit des Geformten zugrunde liegt. Das Subjekt versteht, dass es kein Objekt ist. Wer sich nicht mehr damit aufhält, als etwas Geformtes Partei der eigenen Form zu sein, kann unbegrenzte Wirklichkeit erfahren. Der völlige Verzicht auf Parteilichkeit wird nur wenigen gelingen. Jeder Schritt darauf zu ist ein Schritt auf dem Weg, mit sich selbst im Reinen zu sein.

Unio mystica
Spirituelle Traditionen beschreiben eine besondere Erlebnisweise: die sogenannte Erleuchtung, auch Satori (Japanisch: さとり = Verstehen) bzw. Samadhi (Sanskrit: समाधि = Versenkung, Sammlung) genannt. Im christlichen Kulturkreis wird von der Unio mystica gesprochen. Meist wird dieses Erlebnis durch meditative Praktiken oder Gebete angestrebt. Es wird aber nur selten verwirklicht. Im erleuchteten Bewusstsein wird die egozentrische Anordnung des Wahrgenommenen entlang eines dualistischen Konzepts der Realität aufgegeben. Der Erfahrende schreibt der Person keine eigenständige Realität mehr zu, die er als wahrnehmendes Subjekt interpretiert. Er erkennt die Wirklichkeit ohne Einschränkung durch einen persönlichen Blickwinkel. Er sieht die Person als Ausdruck, Organ oder Eigenschaft einer Wirklichkeit, in der alles in ein Ganzes verschmolzen ist, das in jedem Akt des Erkennens Gewissheit findet.

Viele suchen in der Meditation nach diesem Erlebnis. Wer bedauert, es nicht zu erfahren, belegt jedoch, dass er an der falschen Stelle sucht. Im Kummer, nicht erleuchtet zu sein, weist der Bekümmerte seiner Person eine Bedeutung zu, die ihn verblendet. Im Sinne des Satori versteht man nur, wenn man weder vom Vorsatz noch vom Ziel, etwas Besonderes zu erreichen, gefesselt wird. Statt Erleuchtung zu suchen, gilt es zu sehen, was im Licht zu erkennen ist. Erleuchtung ist kein Ziel, das man erreichen könnte. Sie ist die Erkenntnis, dass alles aus einem Licht besteht, in dem jedes Ziel entfällt. Zu verstehen heißt, die Vorstellung, die man vom Verständnis hat und den Anspruch, es zu erlangen, aufzugeben

Das Ego, also die Vorstellung des separaten Ich, ist eine Eischale. In der Schale wird das Küken ausgebrütet. Wenn es sich darüber hinaus weiterentwickeln will, muss das Küken die Schale von innen heraus zerbrechen. Es muss den Schutz verlassen, den die Schale bietet. Das gleiche gilt für die Persönlichkeitsentwicklung. Ohne eine spirituelle Erweiterung des Selbstbilds über den konventionellen Rahmen des dualistischen Denkens hinaus, bleibt das Ich in einem Raum gefangen, den es als Enge erleiden muss.

Hier wird von einer spirituellen Erweiterung des Selbstbilds gesprochen. Der Satz gefällt und führt zugleich in die Irre. Jedes Bild ist nur deshalb Bild, weil es einen bestimmten Inhalt hat. Der Inhalt eines Bildes kann von außerhalb bestimmt werden, so wie ein Maler festlegt, was auf die Leinwand kommt. Dann ist das Bild fremdbestimmt. In einem nächsten Schritt kann der Maler ein Bild von sich selbst entwerfen. Er sagt: Ich bin ein Maler. Es mag sein, dass er nicht von außen zum Maler bestimmt wurde, sodass es legitim ist, zu sagen, sein Selbstbild ist selbstbestimmt. Alles Bestimmte bleibt aber eng, weil es an ein bestimmtes Sosein gebunden ist. Erst wenn das Bestimmte erkennt, dass es aus Unbestimmtem entstanden ist, aus ihm besteht und in seinem Bestand verbleiben wird, ist das Sein des Subjekts zu sich selbst befreit. Vom Sein kann es kein Bild geben und bei ihm sein, kann nur, wer kein Bild mehr von sich hat.