Der Kontakt

Der Versuch, die Regeln genauer zu bestimmen


1. Die Struktur des "reinen" Kontaktes

1.3.1. Mit 1.3.11. Für
1.3.2. Neben 1.3.12. Fort in die ferne Fremde
1.3.3. Bei 1.3.13. Fürst
1.3.4. Kontra 1.3.14. Die Gefahr der Erfah­rung
1.3.5. Kontingent 1.3.15. Fordern
1.3.6. Tangieren 1.3.16. Fahren
1.3.7. Tasten 1.3.17. Fördern
1.3.8. Taxieren 1.3.18. Bündnis
1.3.9. Intakt 1.3.19. Fromm
1.3.10. Berühren 1.3.20. Vor


1.1. Der Homunkulus kämpft um die Entscheidung

Die Psychotherapie befasst sich mit der Psyche. Sie geht meist davon aus, dass das Wesen der Seinsform "Psyche" grundsätzlich bekannt ist und dass nur seine jeweils individuellen Charakteristika weiterer Erforschung bedürfen.

Wie das Denken der Menschen von altersher, so ist auch das unsere konkretistisch. Wir neigen dazu, Abstraktes zu substantivieren. In Ermangelung differenzierter Vorstellungen versehen wir komplexe dynamische Phänomene mit "der", "die" oder "das" und sprechen dann von "der Liebe", "der Psyche", "der Seele", "der Beziehung" und "der Depression". Ohne uns über diesen Husarenstreich der Einfalt zu wundern, tun wir so, als seien die nun zu Substantiellem deklarierten Dynamiken genauso zu handhaben, wie jene materiellen Dinge, die tatsächlich aus Substanzen bestehen und die daher ohne Verkürzung durch Substantive benannt werden können. Wir haben dann eine Seele, eine Beziehung und eine Depression. Wir suchen nach der große Liebe wie nach einer verlorenen Wertsache. Wir trennen uns von ihr, wenn sie unseren Ansprüchen nicht mehr entspricht.

Das Wort "Substantiv" kommt von lateinisch "substare = darunterstehen". Wer mit Dingen zu tun hat, die darunterstehen, meint, dass er selbst darübersteht und den Umfang, die Ausdehnung und den Horizont des Substantiellen, über das er sich erhebt, von oben überblickt. Solange man erkenntnistheoretisch keine Perfektion verlangt, trifft dieser Anspruch tatsächlich Sächlichem gegenüber in ausreichendem Maße zu. Leichtsinnig wird man aber, wenn man mit den von der menschlichen Einfalt verdinglichten Phänomenen genauso verfährt. Und wer tut das nicht? Dann redet man über die Liebe, als wisse man, was das ist, und über die Psyche, als sei schon lange klar, dass es sich dabei um einen virtuellen Homunkulus namens "Ich" handelt, der irgendwie im menschlichen Gewebe sitzt und sich mit mehr oder weniger Fortüne an der Produktion erfolgreicher Verhaltensweisen versucht. Hat sich der Homunkulus ein neues Projekt ausgedacht, für das er einen Mitmenschen braucht, gibt er seinen Sprechwerkzeugen den Befehl 'Bitte Kontakt zu Zielperson A aufnehmen' und wenn er bekommt, was er will, geht es ihm gut. Leider sind die Fähigkeiten des Homunkulus, erfolgreiche Handlungsprogramme zu entwerfen,fruchtbare Geschäftsverbindungen zu anderen Homunkuli zu knüpfen und die eigene Software ans Laufen zu bringen jedoch beschränkt; oder das Umfeld wirft ihm Knüppel in den Weg! Dann wendet er sich womöglich an einen Psychotherapeuten, damit der am psychischen Apparat die suboptimalen Funktionen maximiert.

Irgendwie ist es so richtig. Jedenfalls kann man mit diesem Denkmodell eine Menge erreichen. Wahrscheinlich ist es aber auch anders. Der Homunkulus "Ich", der einmal mehr das Herz und einmal mehr das Hirn seines Wirtskörpers bewohnt, betrachtet sich in diesem Denkmodell als Individuum, das bis auf ein paar Abstriche autonom seine Existenz verwaltet und im Rahmen seiner egozentrischen Verwaltungstätigkeit mehr oder weniger lebhafte Außenkontakte unterhält, über deren Kanäle es die Vorgänge seiner Lebendigkeit abwickelt. Allgemein akzeptiertes Ziel dieser Umtriebigkeit ist es heutzutage, das Dasein des Ichs möglichst angenehm zu gestalten. In diesem Modell glaubt das Ich, es sei da, wo sein Körper ist, und es nehme von diesem aus Kontakt zu anderen Ichs auf,die sich irgendwo in benachbarten Körpern befinden. Verschiedene Burgherren schicken sich über die Abgründe individueller Einzelexistenzen hinweg mit gelehrigen Brieftauben Botschaften zu und niemand käme auf den Gedanken, die Tauben dabei als Teile ihrer Herren zu betrachten. Souverän knüpft ein Burgherr diplomatische Beziehungen zum Souverän der benachbarten Autarkie und zum derart definierten Ich gehört nur, worauf nichts anderes direkten Einfluß hat.

Obwohl dieses Modell zur Absicherung der legitimen Rechte des einzelnen unerlässlich ist, greift es zur Erklärung des menschlichen Wesens zu kurz. Egal welche Gaben Kindern nämlich genetisch bereits in die Wiege gelegt werden, wenn man sie ohne Kontakte zu Menschen aufwachsen lässt, werden aus ihnen unglückliche Kreaturen, aber keine Individuen in unserem Sinn.

Von Geburt an lebt man in einem Gefüge von Kontakten wachsender Komplexität. Die erwachsene Persönlichkeit entwickelt sich erst als besonderer Pol aus dieser Beziehungsdynamik heraus. Die Annahme einer autonomen Individualität innerhalb der Grenzen des Ichs wird aus einem fluktuierenden Muster von Begegnungen herausabstrahiert. Dies legitimiert sich zwar durch den relativ guten Erfolg dieser Arbeitshypothese im täglichen Leben, führt aber zu unrealistischen Vorstellungen, wenn man unkritisch meint, die Existenz dieses alltäglich erfahrbaren Ichs gehe ihrer Kontaktaufnahme mit anderen Ichs zeitlich voraus und belege damit das Ich als den strukturellen Träger der individuellen Autonomie. Das Ich ist zu seiner Existenz jedoch auf die Begegnung mit dem Du angewiesen und über Ichs, die ohne Kontakt zu einem Gegenüber etwas von sich wüssten, ist nichts bekannt. Es ist also anscheinend doch so, dass die Brieftauben nicht nur Werkzeuge, sondern Organe der Burgherren sind und dass das Ich und das Muster seiner Begegnungen eine untrennbare Einheit bilden.

Meist identifiziert sich das Ich mit dem Netzwerk seiner egozentrischen und innerweltlichen Interessen, die nur in unauflösbarer Verzahnung mit der Welt - also dem Nicht-Ich - als faktische Realitäten wahrgenommen werden können und deren Akzeptanz als Selbstobjekte damit jeder echten Autonomie widerspricht. Dieser Widerspruch löst sich nur auf, wenn man die Pole der seelischen Existenz nicht mehr durcheinanderwirft. Denn einerseits gibt es das Selbst als wirklich autonome Einheit, die befreit von jeder Beengung keine konkurrierenden Partikularinteressen in der Welt vertritt, andererseits gibt es ein Ich, das sich zwar so egozentrisch gebärdet, als sei es der Nabel der Welt, das bei genauerer Betrachtung jedoch kaum so viel echte Autonomie besitzt,als dass all seine egozentrischen Bemühungen letztendlich nicht doch den angestrebten Thron verfehlten und das deshalb nur als unterworfenes Teilstück des Weltgefüges aufgefasst werden kann. So ist man bloß ein Teil des Ganzen, solange man sich für das eigene Ego entscheidet und erst wenn man sich dem Ganzen ohne Interesse überließe, würde man tatsächlich zu sich selbst. Wirklich autonom erlebt sich das Bewusstsein also nur, wenn es auf das verzichtet, worin es sein Ich von anderen grundsätzlich zu unterscheiden glaubt. Zwischen diesen beiden Polen seiner Existenz bemüht sich der Homunkulus um die Entscheidung, wer er wirklich ist.

Natürlich heißt das nicht, dass ein Ich permanent im Blickkontakt zu jemand anderem stehen müsste, um zu existieren. Üblicherweise sagt man: erst wenn eine Vielzahl von gelungenen Kontakten verinnerlicht ist und das Ich über stabile Objektrepräsentanzen verfügt, wird es fähig, von sich dergestalt abzulassen, dass es sich selbst begegnet. Erst dann wird das Ich selbstbewusst - also dessen bewusst, dass es über alle Flüchtigkeit des Seins hinweg von seinem Selbst getragen wird - und erst als ein seiner Selbst und seiner Grenzen bewusstes Wesen kann das Ich sich reflektiert und sachgerecht Problemen widmen, ohne vom Erfordernis der Probleme fremdbestimmt zu sein.

Aber man kann es auch so sagen: Das Ich wächst durch differenzierende Kontakte, sodass die Kontakte eben nicht nur seine Funktion und Zeichen seiner seelischen Aktivität, sondern ein wesentlicher Teil seines Gewebes sind. Und wenn Kontakt als Organ zum Organismus der Psyche gehört, dann ist es ein Organ, das verschiedenen Ichs gemeinsam ist und es ist jenes Organ, über dessen Formbarkeit ein Psychotherapeut die Psyche des Klienten erreicht.

1.2. Psychopathologie als Kontaktpathologie

Die Quelle aller psychologischen Erkenntnis ist der Kontakt. So prägnant darf man es sagen, wenn man die wenigen Ausnahmen ausklammert, ohne sie ganz aus dem Gedächtnis zu streichen. Zwar stammen einige Erkenntnisse tatsächlich aus Verhaltensbeobachtungen isolierter Personen - zum Beispiel halluzinierender oder katatoner Psychotiker - oder aus ausgeklügelten Versuchsanordnungen der experimentellen Psychologie, doch sind die so gesammelten Einsichten in die Dynamik des Seelenlebens dürftig. Der überwiegende Teil des psychologischen Wissens stammt aus der Betrachtung zwischenmenschlicher Kontaktsequenzen.

Selten stehen die Untersucher dabei außerhalb, zum Beispiel hinter einer Einwegscheibe und beobachten aus der Ferne, was andere miteinander machen. Meist ist der Untersucher selbst Teil des Kontakts, aus dem er Erkenntnisse schöpft. Entweder indem er die Strukturen des aktuellen Kontaktes erfasst, oder indem er den Kontakt dazu nutzt, andere zwischenmenschliche Begegnungen zu analysieren.

Einen wesentlichen Teil seiner Erkenntnisse gewinnt der Untersucher dabei introspektiv. Zum einen weil er in der Selbsterfahrung die Rolle des Klienten übernimmt, der anhand erinnerter Kontaktsequenzen seine seelischen Reaktionen darauf studiert und zum anderen, weil er sich selbst in der Rolle als Therapeut nicht als eine objektive Größe verkennt. Er trägt dort vielmehr der Tatsache Rechnung, dass er selbst in jeder Begegnung von der ihr innewohnenden Dynamik erfasst wird und sich zum Verständnis des Geschehens in die Untersuchung miteinbezieht.

Wesentlich ist, dass das Kontaktverhalten des Klienten Hauptinhalt jeder Therapie ist und dass die Untersuchung "intrapsychischer" Vorgänge zwar logische Konsequenz, aber doch nur sekundäre Folge der Fokussierung des Kontaktverhaltens ist. Zwar kommt so mancher Klient mit Symptomen in die Therapie, die auf den ersten Blick nichts mit anderen Menschen zu tun haben - Phobien oder Panikattacken, Zwänge oder depressive Verstimmungen zum Beispiel - doch kommt man immer, wenn man diesen Dingen auf den Grund geht, zu einem Muster gestörter Sozialbeziehungen und pathologischer Kontakte.

Diese Tatsache und die oben versuchte Beschreibung einer einheitlichen Genese von Psyche und Beziehung führen zur These, dass man Psychopathologie auch als Kontaktpathologie beschreiben kann. Wenn man das tut und davon ausgeht, dass Kontakt nicht nur eine schillernde Funktion sozial aktiver Einzelseelen ist, sondern ein übergeordnetes ontisches Phänomen, dann geht man implizit auch davon aus, dass es eine gesunde, adäquate und im bestem Falle mit der eigenen inneren Gesetzmäßigkeit stimmige Form des Kontaktes gibt und dass die krankhaften Variationen von diesem Ideal abweichen.

Allerdings, so muss auch betont werden, soll diese archetypische Sonderform des Kontaktes, deren Beschreibung hier versucht wird, nicht als einheitliches Ideal aller gesunden Formen zwischenmenschlicher Beziehungen postuliert werden. Die Gesundheit einer Beziehung misst sich nicht daran, ob durchgehend ein Höchstmaß an Begegnungsintensität erreicht wird. Das könnte niemand aushalten. In der gesunden Beziehung sind aber solche Momente intensiver Begegnung möglich und in ein wechselndes Muster positiver Variationen geringerer Intensität eingebettet. Kranke Beziehungen zeichnen sich durch starre Muster negativer Variationen aus und echte Begegnungen intensiver Art fehlen. Was im kranken Kontakt als intensiv imponiert, ist nicht die Begegnung, sondern das Ausagieren pathologischer Muster, die immer mehr oder weniger autistisch bleiben.

Die reine (= ausgesiebte) Form des mit sich stimmigen Kontaktes ist nicht der therapeutischen Situation vorbehalten, sondern die Urform, an der sich alle interindividuellen Kontakte orientieren. Der Begriff "reiner Kontakt" kann jedoch als synonym mit dem Begriff "therapeutischer Kontakt" verwendet werden, weil die Qualität der alltäglichen Kontaktvarianten des Klienten davon abhängt, welche positive Begegnungsintensität er erlebt und damit verinnerlicht hat. Je reiner ein Mensch begegnen kann, desto freier ist er im Kontakt zu seiner Umwelt. Schon aus ökonomischen Gründen ist es daher Aufgabe des Psychotherapeuten, eine größtmögliche Kontaktintensität herzustellen, damit sich das Repertoire an Beziehungsmöglichkeiten beim Klienten davon ausgehend neu strukturieren kann. Weniger intensive Begegnungsformen zwischen Therapeut und Klient sind selbstverständlich auch wirksam. Je oberflächlicher der interpersonelle Kontakt jedoch bleibt, desto länger dauert es, bis er wirkt und desto flacher wird die Wirkung sein. Da Kontakt nicht nur Funktion, sondern Teilstruktur der Psyche ist und zwar jene Teilstruktur, die Veränderungen von innen nach außen und von außen nach innen vermittelt, ist eine größtmögliche Kongruenz des therapeutischen Kontaktes mit den Regeln des "reinen Kontaktes" die beste Voraussetzung für gute Wirksamkeit.

Um Hinweise auf jene Form des Kontaktes zu bekommen, die mit ihrem Wesen stimmig ist, wurden in den ersten drei Kapiteln dieses Buches die Begriffe "Kontakt", "Berührung" und "Verbindung" etymologisch untersucht. Grundidee war, dass sich in den Bedeutungen der verschiedenen Verwandten der drei Wörter die Bedeutungsfacetten eben dieser Wörter selbst in allen Farben spiegeln, sodass die Vielfalt des Phänomens im Prisma seiner Assoziationen aufscheint.

Dieses Vorgehen hat eine Reihe Ergebnisse erbracht, deren Bedeutung für die Struktur des "reinen Kontaktes" näher bestimmt werden soll. Dazu werden einige der etymologisch gewonnen Begriffe erneut aufgegriffen und dahingehend untersucht, welche relevanten Themen sie ansprechen. Die Hinweise werden dann entsprechend bestimmter Themen gruppiert, die sich bei der Synopsis der Ergebnisse herauskristallisieren. Jedem Thema wird ein Charakteristikum des "reinen Kontaktes" entsprechen. Wie man dabei sehen wird, überschneiden sich die Bilder, die den unterschiedlichen Überschriften zugeordnet sind, sodass insgesamt ein Gewebe von Vorstellungen entsteht, in dem die Struktur des "reinen Kontaktes" hängenbleibt.

1.3. Vom Wort zu den Kriterien des "reinen" Kontaktes

1.3.1. Mit

"Mit" meint "einschließlich, inbegriffen" und ist somit der Inbegriff von Zugehörigkeit und (→) Intregration. Die Zugehörigkeit einer Person, die in ihr Umfeld integriert ist, bedeutet jedoch mehr als ein Dabeisein, in dessen Folge die Person als Lohn dafür, dass sie zum Umfeld passt, passiv dessen Schutz genießt. Echte Zugehörigkeit bedeutet auch, dass man im selben Maße auf das Umfeld einwirkt, wie man dessen Impulse empfängt. Zugehörigkeit ist eine Integration von Aktivität und Passivität, von Ausdruck und Hinnahme, von expansivem Impuls und Berührbarkeit. Echte Integration beruht auf (→) Gegenseitigkeit. Individuen, die auf die aktive Einwirkung auf ihr Umfeld verzichten, sind daher sozial desintegriert, selbst wenn sie ein Leben lang nicht auffallen.

"Mit" bedeutet also nicht nur, dass man dabei ist, sondern auch, dass man mitmacht. Wenn man sich auf die Dynamik seiner Lebenswelt einlässt und bei dem, was vorgeht, mitmacht, passiert es zwangsläufig, dass man so auch fortkommt. Jedes Fortkommen heißt Verwandlung und ist ein weltliches Äquivalent der (→)Transzendenz. Jedes Mitmachen mit authentischem Ausdruck ist daher ein primärer religiöser Akt.

1.3.2. Neben

"Neben" klingt nach Nähe und Nachbarschaft. Gleichzeitig spricht es die Frage an, ob man den Nachbarn, der in der Nähe wohnt, als ebenbürtig achtet oder nicht. Der Anspruch auf Anerkennung der (→) Ebenbürtigkeit im konkreten Kontakt ist tief im Wesen des Menschen verwurzelt. So ist es kein Zufall, dass sich an dieser Frage, über den Jägerzaun des persönlichen Horizontes hinweg, so mancher Streit entzündet und dass vermeintliche Liebe und der echter Hass so nahe beieinanderliegen.

1.3.3. Bei

"Bei" meint "in der Nähe von...". Eindeutig schwingt neben der Grundidee des Beieinanders zweier Personen, die die gegenseitige Nähe als einen Ausdruck der Akzeptanz ihrer (→) Ebenbürtigkeit bejahen, eine zweite Bedeutungsfacette mit. "In der Nähe von..." ist auch als ein "ungefähr" zu verstehen, als ein "fast", ein "circa", ein "nahezu" und erinnert uns daher daran, dass es in unserer Menschenwelt zur wirklichen Nähe gehört, den anderen ganz zu akzeptieren, auch wenn er den Erwartungen nur ungefähr entspricht. Die Akzeptanz der Nähe erfordert die Akzeptanz der Tatsache, dass unsere Vorstellung von Perfektion der lebendigen Varianz der Wirklichkeit nicht gewachsen ist. Nahe bei der Welt kann nur sein, wer nicht mit der Vernunft über sie herrschen will. Erst Kontakt macht Prinzipien weise.

1.3.4. Kontra

"Kontra" ist eine lateinische Variante des "mit" und man könnte leicht denken, die teilweise Synonymität, die im etymologischen ersten Kapitel behauptet wurde, sei bloß eine exotische Eigenheit des Lateinischen. Falsch! Auf deutsch heißt "kontra" "gegen" und man braucht nur daran zu denken, dass 'gegen fünf Uhr' nichts anderes heißt, als "ungefähr, circa,fast, nahezu fünf Uhr", um sofort zu erkennen, dass all dies gleichzeitig synonym mit "bei" ist. Und das "bei" spricht vom akzeptierenden Miteinander derer, die sich als ebenbürtige Partner begegnen. Die Spannung zwischen dem Ungefähr der echten Begegnung und dem abstrakten Anspruch nach perfekter Erfüllung der Wünsche bewirkt, dass der Gegensatz von Interessen beim (→) solidarischen Kontakt als eine (→) Intensität erlebt werden kann, die die Sehnsucht nach solipsistischer Wunscherfüllung in den nüchternen Realismus (→) transzendiert, dass irdische Stachelbeeren für den Menschen tatsächlich besser sind als himmlisches Manna. Im solidarischen Gegeneinander liegt das Versprechen, die Welt füreinander zu erweitern, indem man den Raum zwischen sich und anderen aus eigener Kraft offenhält.

1.3.5. Kontingent

Kontingente bilden die Komponenten von Systemen, die dem Kontingent einerseits eine begrenzte Rolle im Ganzen zuweist, es ihm aber andererseits ermöglichen, an etwas teilzuhaben, das seinen Horizont übersteigt. Kontakt heißt daher Überstieg (→ Transzendenz) in ein (→) integriertes Ganzes durch gleichzeitiges Innesein der eigenen (→) Begrenzung. Zugehörigkeit ist nicht erst sekundärer Erwerb isolierter Teile, sondern sie gehört wie die Begrenzung wesenhaft zum Teil dazu.

Individuen verwirklichen ihre wahre Bestimmung deshalb nur, wenn sie im realen Kontakt ihre Grenzen erleben und im gleichen Zuge mit jenem unberührbar Ganzen übereinstimmen, in das sie der Kontakt integriert. Das Ganze ist unberührbar, weil es selbst keine Grenze hat, an der man es berühren könnte. Es kann sich deshalb nie von außen, sondern nur als eine innere Stimmigkeit begreifen, deren Resonanz noch jenseits aller Grenzen schwingt.

1.3.6. Tangieren

Was mich tangiert, geht mich etwas an. Wenn mich etwas angeht, was so nicht angeht, dann muss ich es eben angehen. Wenn ich ernsthaft angehe, was mich etwas angeht, dann wird es auch angehen.

Anders ausgedrückt: Was mich tangiert, betrifft mich. Wenn es mir Kummer macht und ich nicht will, dass es so weitergeht, muss ich etwas tun. Wenn ich ernsthaft anpacke, was mich betrifft, wird die Mühe Früchte tragen.

Also: Erst im Kontakt erfahre ich von dem, was mich tatsächlich betrifft. Dort begegne ich meiner wahren Sorge und dem Feld, auf dem ich tun kann, was die Sorgen vertreibt. Jede Begegnung erfordert die (→) Solidarität mit dem, was man trifft. Nur wenn man in der Begegnung nicht der Sorge ausweicht, kann man im richtigen Handeln der Welt tatsächlich (→) ebenbürtig sein. Lässt man sich nicht auf die Sorge ein, um eine scheinbare Souveränität zu bewahren, verharrt man in einer Pose. Sicher ist nur, wer sich von der Tragik der Welt überwältigen lässt.

1.3.7. Tasten

Mit dem Tastsinn erfühlt man die Welt. Das Bild, das man von ihr hat, entspricht entweder der Struktur der Kontakte, die man zur Welt unterhält oder den Vorstellungen, die man sich von ihr macht. In der Realität ist das Bild eine Mischung aus beidem, das sich umso mehr vom bloß Vorgestellten entfernt, je mehr man die Welt im Kontakt berührt. Kontakt ist der Ausstieg, durch den sich das Halbe verlässt, um durch die Teilnahme am Stückwerk des Daseins den Einstieg in seine Ganzheit zu finden. Im anderen tastet die suchende Ganzheit nach dem, was sie selbst einmal wird.

Die Psyche ist der virtuelle Abdruck der Wahrheit jenes Teils der Wirklichkeit, dem sie bereits begegnet ist. Da die Struktur der Psyche der Wahrheit als Ganzem nie genügt, fühlt sie sich stets von ihrer Macht bedroht. Vorstellungen beruhen auf hypothetischen Urteilen, auf gedanklichen Simulationen, durch die ein Weltbild entworfen wird, das die Struktur der Psyche in ihrem aktuellen Wissensstand auf die Welt überträgt. So versucht die Psyche zu erraten, was sie nicht wissen kann, oder was sie nur wissen könnte, wenn sie den wahren Kontakt zu den Dingen riskierte.

Vorstellungen verstellen der Wahrheit den Weg ungehemmt auf die Psyche einzuwirken. Die Psyche setzt sich aus dem Echo tatsächlicher Begegnungen mit der Wirklichkeit und jenen Vorstellungen zusammen, die als Spekulationen über Wirklichkeit auf dem Boden bereits integrierter Erkenntnisse möglich sind und die der Psyche zum Schutz ihrer Integrität als notwendig erscheinen.

Bedingung zur (→) Integration weiterer Aspekte der Seins in den Korpus der Psyche ist die (→) Exploration der als Realität verwirklichten Wahrheit. Da die Wahrheit als Ganzes jede Psyche vielfach durchkreuzt, ist der echte Kontakt für die Psyche ein ständiges Wagnis, in dem sie sich fürchtet, an der Wahrheit zu zerbrechen. Unabdingbarer Teil jeder Erkenntnis ist das Scheitern von Vorstellungen an der Realität. Nicht umsonst ist es der Psyche so zumute, wie sie den Mut hat, zu erfühlen, wie die Dinge wirklich sind.

1.3.8. Taxieren

"Taxieren" heißt "einschätzen" und "abschätzen". Es meint daher, dass das Taxierte als Schatz erkannt und als Wert in das Weltbild eingebracht wird. Der Wert des Abgeschätzten wird durch das Taxieren von dem abgetrennt, was ihn unkenntlich macht. Richtig einschätzen kann man die Dinge also nur, wenn man ihnen einen positiven Wert zuspricht. Man kann nur erkennen, was man als liebenswert auffasst. Bejahende (→) Solidarität und Akzeptanz der (→) Ebenbürtigkeit sind deshalb Grundpfeiler eines jeden Kontaktes, der den ihm inneliegenden Impuls zum Taxieren stimmig befolgt. Indem das Verb "taxieren" einen Modus der Erkenntnis benennt, bindet es die (→) Exploration mit der Solidarität und der Ebenbürtigkeit in einen gemeinsamen Kontext. Nichts wird erkannt, ohne dass man seinen Wert durch die Erkenntnis anerkennt. Erkenntnis ist die Wertschätzung der Dinge. Man hat erst erkannt, wenn man erkennt, worin der Wert des Erkannten besteht.

Im Gegensatz zum "Abschätzen", das den Wert des Abgeschätzten grundsätzlich bejaht, bezeichnet der Begriff "abschätzig" einen Missbrauch des Abschätzens. Die abschätzige Geste trachtet danach, den Wert des Erkannten zu leugnen.

1.3.9. Intakt

"Integer" und "intakt" bedeuten beide "unberührt", doch fällt es bereits beim Wort (→) "Integration" leicht, zu erkennen, dass die Unberührtheit des Integrierten nachgerade darauf beruht, dass das Integrierte sein Umfeld harmonisch berührt. Auch die "Integrität" einer Person besteht ganz wesentlich darin, dass die integere Person mit sich selbst und ihrer Lebenswelt in inniger Berührung steht. Unberührt ist also nicht, was in spröder Isolation abseits aller Bezüge sich selbst überlassen bleibt, sondern was jene stimmige Beziehung zu den Dingen verwirklicht, die seinem Wesen zukommt. Ganz ist erst jener, der seine Autonomie gewinnt, indem er sie seinem Beziehungsschicksal überlässt. Zu diesem Schicksal gehört aber auch, dass der Berührung gleichzeitig eine Ablösung innewohnt, die erst gewagt sein muss und dann als Lohn genossen werden kann. Integration verbindet daher die Freiheit mit der Anerkennung des handelnden Dankes, den der Freie der Welt für die Freiheit schuldet. Erst wenn er den Dank leistet, kann er es annehmen, dass die Welt ihn in kein Joch mehr bindet. Nur wer liebt, wovon er sich frei macht, kann sich ohne Schuld in die Freiheit entbinden.

1.3.10. Berühren

Im vollen Sinne des "Beirührens" ist jede Berührung ein "Einbringen". Echte Berührung ist daher ein grundsätzlich (→) solidarischer Akt. Er kann nur dann im vollen Sinne geschehen, wenn man ins Berührte etwas einbringt, dass heißt, wenn man ihm durch die Berührung etwas gibt. Berührung ist Gabe. Wer die Gabe hat, zu berühren, wird in der Berührung stets etwas geben.

Da die (→) Gegenseitigkeit zum Wesen des (→) ebenbürtigen Kontaktes gehört, entspricht der solidarischen Gabe im Kontakt die (→) Akzeptanz dessen, was man dabei gegeben bekommt. Man kann nichts geben, ohne dabei zu empfangen.

Auch wenn man die Berührung als ein bloßes "Angrenzen" versteht,ist diese Regel gültig. Beim Angrenzen gibt man dem Berührten eine Grenze, was für jedes Dasein, das sein wahres Wesen nur in einer begrenzten Form unbegrenzt erfüllen kann, durchaus förderlich ist, selbst wenn die Abgrenzung womöglich empört. Doch in jeder Grenze, die man gibt, findet man die eigene.

Ist man von einer Sache berührt, so kann es sein, dass man durch sie bewegt wird. "Bewegt" meint, dass man durch die Berührung auf einen Weg gebracht wird, der, geht man ihn beherzt zu Ende, dorthin führen wird, wo man sich selbst verwandelt. Jede echte Berührung ist somit ein Schritt zur (→) Transzendenz.

1.3.11. Für

"Für" ist ein Nachkomme des räumlichen "vor". Es beschreibt "Vortschritt" im übertragenen Sinne. Überträgt man den derben deutschen Begriff des "Fortschritts" in edles Latein und wendet man ihn auf das Verhältnis zwischen dem Geist und seiner Wahrheit an, dann spricht man von der (→)Transzendenz. Der Fortschritt des Geistes ist sein Streben nach Transzendenz. Jede Welt, die ein Geist schafft, dient dem Zweck, sich daraus zu entfernen. Der Geist schafft Welten, damit er von dort aus auf sich zu kommt.

Wesensmerkmal der Subjekte ist, dass sie keine Gegenstände, sondern "Fürstände" sind. Das Ich definiert sich als das, wofür es ist: Für die Respektierung seiner Rechte. Für die Fortsetzung der Koalition. Für die Senkung der Körperschaftssteuer. Auch wer dauernd gegen etwas ist, bleibt im Modus des "Für". Er ist dann eben für den Widerstand gegen die Atomkraft, die Abtreibung oder die Abholzung der tropischen Regenwälder. Wie es sich auch immer drehen und wenden mag, es gehört zum Wesen des Ichs, das es der Einsatz für das ist, was es gutheißt. Das Ich weist stets auf jenes hin, was es durch sein Dasein fördern will.

Wenn also Wertunterschiede zwischen zwei Ichs benannt werden können, so kann so ein Unterschied nur im Wert dessen begründet sein, wofür sich das eine oder das andere Ich einsetzt. Bezüglich der Herkunft können Menschen sich nie in ihrem Wert unterscheiden. Ein Denken, dass derlei behauptet, widerspricht dem Wesen des Menschen. Es ist unwesentlich, weil es das Wesen des Menschen als Fürstand verleugnet.

Noch mehr, als wenn das Ich für sich allein ist, gilt dies, wenn es sich im Kontakt mit einem Du befindet. Der gesunde Kontakt, so wie er dem eigentlichen Wesen des Ichs entspricht, beinhaltet daher stets die (→) Solidarität mit dem, was sich im Kontakt begegnet. In jedem reinen Kontakt will das Ich das Berührte fördern, auch wenn dieses Fördern ausschließlich im unnachgiebigen Widerstand gegen jene Aspekte des Berührten besteht, die dessen eigentliches Wesen bis zur Unkenntlichkeit verstellen. Die Abgrenzung gegen das Falsche, der Widerstand gegen das Unwahre am anderen ist eine Form der Solidarität mit dem, was er wirklich ist.

1.3.12. Fort in die ferne Fremde

Indem Verbindung über etwas hinausführt, weist sie von dem, der sich bindet weg und fort in die Ferne. Auch hierin wird letztlich das Motiv der (→) Transzendenz benannt. Indem man durch eine Kette wechselnder Verbindungen in die Ferne geht, erkundet man im gleichen Zuge alles, was einem unterwegs begegnet. Verbindung und Kontakt sind immer (→) explorativ. Kontakt ist dem Fremden zugewandt. Er ist daher per se (→) solidarisch. Indem der Kontakt Grenzen überschreitet, zerstört er sie nicht, sondern belässt sie dort, wo sie sind. Die solidarische Überwindung von Grenzen, ist der volle Respekt der (→) Begrenzung als Prinzip jedes Daseins. Durch die Solidarität im Kontakt mit dem Fremden, vollzieht sich seine Integration.

1.3.13. Fürst

Für, fürster, am fürsten; so lautet die Steigerung des Wortes "für". Personifiziert wird der Superlativ eines 'Ich bin dafür' im Titel des Fürsten. Der Fürst ist jenes hypothetische Subjekt, in dem sich der Bezug jener Dinge bündelt, die stellvertretend für seine Einheit ins Viele aufgefächert im Raum der Existenz stehen. Das Wesen des Fürsten ist das "Maximum des Füreinanderseins", das die Dinge verbindet. Wenn das Wesen des eigentlichen Fürsten im Maximum eines Füreinanders zu finden ist, heißt das, dass der Verbindung der einzelnen Teile eine Schlüsselrolle im Kontext des Daseins zukommt. So ist es folgerichtig, dass im Wort "Verbindung" das (→) solidarische Wesen des "für" bereits mitschwingt, das stets über die Grenzen eines Teiles hinausweist und trotzdem im Hinausweisen aufs Ganze die (→) Begrenzung des Teiles hinnimmt.

1.3.14. Die Gefahr der Erfahrung

Eine gemeinsame Schnittstelle der Wörter "Experiment" und "Gefahr" liegt in der indoeuropäischen Ursilbe "per = hinausführen über". Von dort aus weist der Weg zur "Verbindung". Verbindungen sind stets Wagnisse und weil man im Wagnis wirklich etwas riskiert, machen sie das Leben (→) intensiv. Das Wort "Wagnis" meint, dass da etwas abgewogen wird, also eingeschätzt und in seinem Wert beurteilt. Sieht man die unverbrüchliche Gemeinsamkeit von Wagnis und Verbindung, von Experiment und Gefahr, erkennt man leicht, dass jeder echte Kontakt die Welt (→) exploriert. Begegnen heißt, vom anderen etwas Neues zu erfahren und wer meint, er kenne bereits, was ihm begegnen wird, begegnet nicht. Kontakt ist immer expansiv und stets führt er hinaus in die Gefahr, in der man eine Erfahrung riskiert, nach der man selbst nicht mehr zu halten ist. Im Kontakt erfährt der Mensch, dass er die Reise zu etwas anderem ist.

1.3.15. Fordern

Die Sprache hat Möglichkeiten erfunden, Tatsachen, die jemanden verschrecken könnten, in gezähmter Weise mitzuteilen. So sagt man beim Bäcker, man hätte gerne sechs Brötchen, und der Mann hinter dem Tresen versteht, was man will, ohne dass man sich weiter exponieren müsste. Tatsächlich heißt "gerne" jedoch 'Ich bin gierig'. Unter wohlerzogenen Menschen ziemt es sich aber nicht, blanke Gier unverhohlen einzugestehen,weil man sich vor der Intensität der Impulse und den abweisenden Blicken befremdeter Mitmenschen fürchtet. Wo käme man auch hin, wenn man der Angebeteten, statt sie mit einem arglosen 'Ich möchte Dich heute abend gerne zum Essen einladen' zu ködern, gleich die nackte Wahrheit offenbarte: 'Süßes Luder, lass uns erst unsere Gier aufs Essen stillen! Dann will ich wie dampfende Brunst im Strudel Deiner Wollust meinen wilden Tod erleben!' Nur wenige Frauen nähmen da nicht Reißaus und so lohnt sich weiterhin das Kreidefressen.

Fordernd wird man nun, wenn die sublimante Höflichkeit des zarten Wünschens in Begierden umschlägt, deren Drängen man nicht für sich allein behält, sondern die man ohne falsche Scham - vielleicht beflügelt von einem Glas Wein - dem Gegenüber näherbringt. Dann mündet, was bei Tisch bis dahin harmlos plätschert, in eine andere Phase der Beziehung, in der die (→) Intensität, die jeder Begegnung prinzipiell inneliegt, endlich aus den Fesseln bricht und rauschhaft spürbar wird. Wer mehr vom geladenen Gegenüber verlangt, als dass ihr die angebotene Mahlzeit mundet, bringt die Speise dem segensreichen Gott des Kontaktes als ein vorgezogenes Dankesopfer dar, damit er dafür sorgt,dass sich das verborgene Verlangen als mächtige Versuchung offenbart und nach der Sättigung des Magens in eine andere Art ihres Hungers mündet.

1.3.16. Fahren

Kontakt ist das Medium einer Fahrt, die jeden, der daran teilnimmt, befördert. So weist das Wort "fahren" auf die (→) Gegenseitigkeit der Beförderung, auf die Erfahrung (→ Exploration), die man dabei macht, auf die (→) Solidarität des gemeinsamen Tuns und auf die (→) Transzendenz hin, die hinter jeder Begegnung erahnt wird. Im Wort "Fahrt" wird das Wesen des Menschen genauer benannt, als wenn man bloß vom "Dasein" spricht. Eigentlich ist der Mensch nicht da, sondern er kommt gerade vorbei. Kontakte sind Etappen, in denen er vorübergehend wirklich wird. Mit jedem Kontakt will er präsenter sein, denn in der Gegenwart des anderen findet er das Diesseits, in das er hineingeboren wird.

1.3.17. Fördern

Wenn im Wort "Verbindung" die Verwandtschaft zum Verb "fördern" angelegt ist, so braucht man keine Umwege zu gehen, um daraus abzuleiten, dass es zum grundsätzlichen Wesen des Kontaktes gehört, dass sich die Partner darin in (→) gegenseitiger (→) Solidarität nützlich sind. Nützt ein Kontakt nur einer Seite, hat er sein reines Wesen nicht nur verfehlt, sondern schadet sogar beiden. Wollen sich beide aktiv schaden, gilt diese Regel erst recht. Wahre Berührung wird nur in der Bejahung wirklich. Wer schaden will, kann dies nur in dem Maße tun, wie er dabei einsam ist.

1.3.18. Bündnis

Einmal mehr: Verbindung spricht vom Bündnis und Bündnisse von der wechselseitigen (→) Solidarität derer, die sich im Bund verbinden. Wenn Kontakt mit jedem Verbinden verbündet und Bündnisse im gemeinsamen Nenner jener Interessen begründet sind, der das solipsistisch Subjektive der Verbündeten in eine interpersonelle Objektivität bereinigt, dann zielt der Kontakt, wenn man seine Wirkung ins Letzte extrapoliert, darauf ab, die reine (= ausgesiebte) Wahrheit ins Dasein zu entdecken, eine Wahrheit also, die von jeder perspektivischen Beschränkung befreit ist, ohne die perspektivische Komplexität des Seins zu beschneiden. Das Absolute existiert in der Begegnung seiner aufgespaltenen Fälle. Das Ganze muss sich in die Halbheit beugen, damit die Halbheit sich, über sich selbst hinaus, ins Ganze erhebt.

1.3.19. Fromm

Zu glauben ist nicht etwa die halsstarrige Tätigkeit dessen, der Dinge unbeirrbar für wahr hält, obwohl sie unwahrscheinlich sind. Glauben heißt nicht, dass man eine Hypothese bis aufs Blut verteidigt, bloß weil sie ebenso unbeweisbar ist wie ihr Gegenteil und bloß weil irgendein Gegner einen anderen Quatsch behauptet. Selbst wenn man das Verb "glauben" mit "für wahr halten" übersetzt, meint es mehr als die "trotzige-Annahme-unbeweisbarer-Theorie". Da das Gute nicht unwahr sein kann, heißt man stets auch gut, was man für wahr hält. Wirklich zu glauben ist nicht nur passive Übernahme einer Weltsicht und ein Sich-Einfügen in den Lauf der Dinge, wie sie tatsächlich sind. Es ist ein solidarisches Gutheißen dessen, was man als wahr anerkennt. Der eine wahre Glaube ist nichts anderes als das tätige Bekenntnis zur Wahrheit. Deklamiert werden muss da nichts. Glaube ist der Abscheu vor Lüge und Irrtum.

Belegen lässt sich diese Behauptung, indem man sich verdeutlicht, dass das Verb "glauben" dem germanischen "galaubjan" entspringt und daher mit "für lieb halten, gutheißen" zu übersetzen ist. Der wahre Glaube, der alle Rituale als belanglos entlarvt ist keine willkürliche Entscheidung für eine bestimmte Liturgie, sondern tatsächlich glaubt, wer sich für das einsetzt, was er wirklich gutheißt. Glaube ist die aktive Bejahung dessen, was man tatsächlich für gut hält.

Fragen wie jene, ob Mariä Empfängnis jungfräulich war oder Mohammed der Prophet Gottes, sind keine Glaubensfragen, weil man gar nicht entscheiden kann, ob die Jungfräulichkeit der Empfängnis gutzuheißen ist oder nicht, oder ob es besser gewesen wäre, Gott hätte seinerzeit nicht Mohammed aus Medina, sondern Vansapran aus Khirikan als seinen Boten zur Erde gesandt. Derlei Fragen dienen abergläubischem Gezänk. Da das Wahre dem Zweifel dankbar dafür ist, dass der Zweifel ihm den Schmutz des Irrtums von der unverletzbar klaren Schale kratzt, ist niemals wahr, was sich eigens durch Dogmen, also das Verbot des Zweifelns, vor der Überprüfung schützen muss.

Da Glaube der (→) solidarische Einsatz für das ist, was man liebt, wundert es nicht, dass der Begriff assoziativ mit der Frömmigkeit in Verbindung steht. Sie spricht davon, dass man nach vorne und ohne Zögern fort in jene Ferne geht, von der man ahnt, das in ihr jenes Wahre liegt, dem man sich einmal völlig überlassen wird. Durch die Bejahung des Guten (→) transzendiert die Seele aus dem Reich der flüchtigen Vermutung in das ihres wirklichen Seins.

1.3.20. Vor

Würde man das Wort "vor" in allen seinen Bedeutungen daraufhin untersuchen, welche Kriterien zur Definition des "reinen Kontaktes" daraus abzuleiten sind, fände man wieder, was schon gefunden ist. Also kann man es sich die Mühsal einer differenzierten Analyse ersparen.

Ein Bild sei allerdings noch aufgegriffen, bevor es zur Beschreibung der neun jetzt extrahierten Kriterien des Kontaktes geht. In der Vorsilbe "ver" liegt die Verwandtschaft der Verbindung mit dem räumlichen, dem zeitlichen und dem kausalen Sinn des Adverbs "vor". Indem die Verbindung als die Lichtung des menschlichen Daseins verstanden wird, in die die Existenz dieses Daseins eindringlich hineinragt, verknüpfen sich in ihrem virtuellen Raum die drei Aspekte des Begriffes "vor" zu dem, was das Wesen des menschlichen Daseins ausmacht. Im Raum liegt es vor, mit der Zeit geht es fort und im Grunde seiner selbst ist es eine bange Angst, die tastend in der unbestimmten Weite ihre wahre Mitte sucht.